Freitag, 22. Oktober 2010

Buchbesprechung: Booted and Suited

Hooliganliteratur, in der sich gealterte Schlägertypen an ihren früheren „Taten“ beweihräuchern, ist nicht so mein Ding. Ich habe halt nie zur „schlagenden Fraktion“ gehört und konnte auch nie die „Faszination“ greifen, die von Massenschlägereien ausgehen soll.

Chris Browns Buch „Booted and Suited” ist mir auch nur in die Finger gefallen, weil der Autor ein „Gashead“ ist – also Fan „meiner“ Bristol Rovers.

In Browns Buch geht es um Gewalt. Um viel Gewalt, und häufig sind die Bilder, die der Autor aufzeigt, erschütternd und abstoßend. Aber Browns Buch behandelt weit mehr als nur das Thema Fußballgewalt. „The real story of the 1970s – it ain’t no boogie wonderland“ heißt es im Untertitel des Buches. Der 1956 geborene Brown ist ein Zeitzeuge der 1970er, die in England eine Dekade der permanenten Veränderung war. Somit geht es in seiner Erzählung auch nicht nur um Fußball, sondern ganz viel um Musik und Subkulturen.

Brown gehört zu der Generation, die zwischen den Mods und den Punks groß wurde und in einem sich dramatisch verändernden Großbritannien auf der Suche nach der eigenen Identität war. Dabei geht es nahezu ständig um die Auslotung der eigenen Grenzen. „Aggro“ spielt eine zentrale Rolle in der Sozialisation des im rauen Norden der Hafen- und Industriestadt Bristol aufgewachsenen Brown. Aus Fußballsicht gehört Brown zu der Generation VOR den gefürchteten „Firms“ wie West Hams ICF und Chelseas Headhunters. Seine Geschichte ist exemplarisch für die britische Alltagsgeschichte von den Mods bis zur National Front, vom stockkonservativen Nachkriegsengland bis zur „eisernen Lady“ Maggie Thatcher.

Für sein Buch hat er sich nicht nur auf eigene Erinnerungen verlassen, sondern stieg auch in die Archive ab. So rekonstruierte er die Frühgeschichte der Mods und Rocker im Bristol der 1960er Jahre und schuf damit die Grundlage für seine eigene Geschichte, die im Sommer 1969 einsetzt, als Brown zum Mod wurde und anschließend zu den ersten in Bristol zählte, die sich „Skinheads“ nannten. Damals war ein „Skin“ im Übrigen alles andere als ein Fascho. „West Indies were working-class people like us“, schreibt er, und kämpfte Seite an Seite mit gebürtigen Jamaikanern in Fußballstadien und Konzertsälen.

Browns Alltag bestand aus Musik, Gewalt und Exzessen. Die Konflikte waren vielfältig. Mods bzw. Skins gegen Rocker, alle gegen die Polizei und im Fußball gegen den verhassten Lokalrivalen Bristol City, gegen die Gegner aus Wales („sheep-shagger“) und gegen alle anderen. Was das Buch an dieser Stelle besonders macht, ist die Rolle, die die Bristol Rovers seinerzeit spielten. Ein verhältnismäßig kleiner Klub, der zu Browns aktiven Zeiten von der dritten in die zweite Liga aufsteigt, der aber in seiner Bedeutung nicht annähernd an Größen wie Leeds United, Chelsea oder West Ham heranreichte. Und doch: „The Tote End. It might not have been the Kop or the Shed, but it did for me during the 70s”, schreibt er über die Rovers-Kurve “Tote End” im Eastville-Stadium. Inzwischen vollends zum Skinhead geworden, prügelte er sich binnen kurzem an die Spitze der Rovers-Fans, die seinerzeit landesweit zu den gefürchtetsten Fangruppen im britischen Profifußball gehörten. Nicht allzu viele Köpfe, aber die, die da sind, sind zu allem bereit.

Browns Berichte von den Schlachtfeldern sind keine überzogenen Heldenstorys sondern geprägt von kritischer Selbstreflexion, nüchterner Erzählung und dem einen oder anderem Bedauern. Mitunter sind sie sogar lustig – wie die Geschichte in Swansea, als sich die Rovers-Fans mit den Heimsupportern erst eine wüste Schlacht lieferten und beide Seiten anschließend im Krankenhaus gemeinsam Lieder sangen. Auch die Geschichten von Skinheads, die sich im Fußballstadion plötzlich als „Gegner“ gegenüberstehen und nicht wissen, was sie nun machen sollen, haben bei aller Brutalität etwas amüsantes.

Wesentlicher spannender indes ist es, Browns persönliches Entwicklungsprozess zu verfolgen. Er wird vom Mod zum Skin, vom Skin zum Soul-Anhänger, lässt sich von Alice Cooper, Slade und Clockwork Orange beeinflussen, bleibt der schwarzen Musik über Funk und Disco treu und wird schließlich zum Punker. Damit endet seine Geschichte allmählich, denn längst kein Teen mehr fühlt sich Brown allmählich „alt“ und nimmt Abschied von den Jugendkulturen. Seine letzte Station ist spektakulär. Aus der Punkbewegung, die Brown zu recht als die „last generation of great British rebels“ bezeichnet, lässt er sich von der faschistischen National Front rekrutieren und wird zum prügelnden Faschisten. Überzeugung ist allerdings nur bedingt dabei. Brown ist stolzer Brite – das war er schon als Mod, als Skin, als Punk und immer als Fußballfan. Doch Brown liebt auch schwarze Musik wie Ska, Reggae, Soul und Funk. Er ist kein Rassist, und so glühend er das „England rules“ verteidigt, so unmöglich ist es ihm, Schwarze nur aufgrund ihrer Hautfarbe zu hassen. Bei einem NF-Treffen in London wendet er sich ab, und damit endet seine Geschichte.

„It ain’t no boogie wonderland“ – wahrhaftig. Lesen!

☺☺☺☺☺

Chris Brown

„Booted and Suited“

John Blake Publisihing

ISBN: 978-1-84454-746-3

£7,99 (zu beziehen u.a. über Amazon, dort 9,99 Euro)

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