Mittwoch, 24. November 2010

Straßensozialarbeit früher - FC Stern Bremen

Heute mal ein Schmankerl aus einem schon etwas älteren Werk aus meiner Feder - die unglaubliche Geschichte des FC Stern Bremen. Veröffentlicht 2004 in "Legendäre Fußballvereine Norddeutschland".

Legenden erwerben ihren Status durch Leistungen, die für die Ewigkeit sind. Zudem wird mit ihnen etwas Mystisches verbunden - wobei es im Grunde genommen einerlei ist, ob nun von James Dean, der „Titanic“ oder aber einem Fußballklub gesprochen wird. Auch der FC Stern Bremen ist eine Legende - allerdings lediglich eine lokale und noch dazu eine vergessene.


Sportlich fiel der Klub lediglich in der Spielzeit 1922/23 außerhalb der Bremer Stadtgrenzen auf, als ihm die Qualifikation zur End­­­runde um die "Nord­deut­sche" gelang und er am 25. März 1923 mit einem 1:4 gegen Eintracht Han­nover aus jener ausschied.

Dafür kann der 1945 in der heutigen BTS Neustadt aufgegangene Klub jedoch mit einer einzigartigen Sozialge­schichte aufwarten und dürfte zu­dem der erste Fußballverein Deut­schlands gewesen sein, der von einer Frau gesponsert wurde. Jene Dame hieß Lucie Flechtmann (Bild) und war ein berühmtes Bremer Original, das sich als "Fisch-Lucie" stadtweiten Bekanntheitsgrad erfreute und ob ihrer schlagfertigen Art sowie ihrem wirtschaftlichen Geschick be­liebt und gefürchtet war. Zum Fußball kam die 17fache Mutter durch ihre in unmittelbarer Nachbarschaft zum FC Stern-Platz gelegenen Wohnung am Hohentorsplatzes in der Neustadt. Der 1907 gegründete FC Stern galt als "Verein der kleinen Leute" und bestach durch eine verschworene Ge­mein­schaft. Für "Fisch-Lucy" war er das ideale Terrain, ihrer ausgeprägten sozialen Ader nachzukommen.

"Die Kinder und Ju­gend­lichen müssen spie­len, toben und sich richtig ausleben können", lautete ihr Credo, das für viele jugendliche Sternler ein Geschenk des Himmels war. Die Väter ar­beits­los oder im Krieg gefallen, da­heim depressive Untergangsstimmung - da konnte ihnen lediglich der Sport Ab­wechs­lung bieten. Und natürlich „Fish-Lucy“! Wer immer Hunger litt, konnte bei ihr vorbei gehen, wo stets ein dampfendes Süppchen auf dem Herd stand, oder es den einen oder anderen fetten Fisch abzustauben gab.

Auch in sportlicher Hinsicht war "Fisch-Lu­cy" eine Bank für den FC Stern, bei dem immerhin der spätere Werder-Mittel­stürmer „Boy“ Mahlstedt das Fußballein­mal­eins erlernte. Wenn sie am Spielfeldrand ihre lautstarken Anweisungen gab, rollte der Ball wie am Schnürchen, während die gegnerischen Spieler eindrucksvoll verharrten. Nur anlegen durfte man sich mit der stämmigen Geschäftsfrau nicht - ihre Wutaus­brüche waren gefürchtet, und wer im Spiel nicht ausreichend Engagement an den Tag gelegt hatte, bekam anschließend ein Standpauke. Später, als Lucy nicht mehr gut zu Fuß war, wurde sie sogar im Stuhl zum Sportplatz getragen, um "dabei" zu sein.

Tragisch indes, dass sie den erwähnten größten Vereinserfolg nicht mehr miterlebte - "Fisch-Lucy" starb am 10. August 1921. Bei ihrer Trauerfeier musste die Polizei den Friedhof absperren, weil sich so viele Menschen von ihr verabschieden wollten.
 
Dieser Artikel stamm aus dem Buch "Legendäre Fußballvereine Norddeutschland. Zwischen TSV Achim, Hamburger SV und TuS Zeven".
Der Verdienst, die Geschichte von "Fisch-Lucy" ausgegraben zu haben, gebührt im Übrigen Werner Steinberg, dem ehemaligen Bibliotheksleiter der Handelskammer Bremen.

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