Freitag, 31. Dezember 2010

Gute Wünsche und ein Wunsch

Allen Leserinnen und Lesern meines Blogs ein gutes und erfolgreiches Jahr 2011!

Danke für Eure regelmäßigen Besuche auf meiner Seite, die vielen Kommentare, die zahlreichen Hinweise und die aufmunternden Rückmeldungen. Mehr als 30.000 Besuche in kaum sieben Monaten machen mich sehr stolz und zeigen mir, dass das Interesse am Fußball hinter dem "großen Fußball" durchaus noch vorhanden ist.

Für den "FußballGlobus" habe ich für 2011 einen bescheidenen, aber vermutlich dennoch unerfüllbaren Wunsch: Seit Ende Mai 2010 habe ich 61 Mal den "Insolvenzticker" bedienen müssen. Eine erschreckende Zahl, von der ich mir wünschen würde, dass sie 2011 kleiner ausfällt. Ein, so fürchte ich, allerdings unerfüllbarer Wunsch, denn auch 2011 wird uns das Vereinsterben begleiten.

Ich werde nun, wie schon angekündigt, von Januar bis Mai per Rad in Afrika unterwegs sein und auch von dort berichten: http://hardygruene.wordpress.com/

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Insolvenzticker: SpVgg Au/Iller

Auch der württembergische Landesligist SpVgg Au/Iller muss aufgrund einer finanziellen Schieflage seine Mannschaft aus dem Spielbetrieb zurückziehen und wird zur Rückrunde 2010/11 nicht mehr antreten.

„Es ist uns nicht möglich, noch am Spielbetrieb der Landesliga teilzunehmen“, erklärte Vorsitzender Gordon Kniesche gegenüber der Presse. „Wir haben mit allen Beteiligten gesprochen und jedem Spieler freigestellt, sich einen anderen Verein zu suchen. Der Kader ist eh mächtig geschrumpft. Ich weiß nicht, ob noch Spieler bleiben, um in der zweiten Mannschaft zu spielen.“

2009 war die SpVgg aus der Oberliga Baden-Württemberg abgestiegen und 2010 in der Verbandsliga durchgereicht worden. Auch die Landesliga erwies sich nun finanziell als nicht mehr zu stemmen für den Klub. In einer Presseerklärung des Klubs heißt es, die "sportliche Leitung" habe das Budget um "700 Prozent" überzogen. http://www.spvgg-au.de/html/aktuell.html#2010.10.11.02

Zu Auf- und Abstieg der Lila-Weißen aus dem Kreis Donau-Iller ein Artikel aus der "Augsburger Allgemeinen": http://www.augsburger-allgemeine.de/Home/Lokales/Illertissen/Lokalsport/Artikel,-Fruehere-Fussball-Hochburg-ist-eingestuerzt-_arid,2325784_regid,8_puid,2_pageid,9158.html

Insolvenzticker: SSV Ulm 1846

Keine Hoffnung mehr für die Fans des SSV Ulm 1846. Das Insolvenzverfahren über ihren mit 600.000 Euro verschuldeten Regionalligaklub wird am 1. Januar eröffnet werden. Das erklärte der vorläufige Insolvenzverwalter Martin Hörmann, nachdem sich der Einstieg einer Laupheimer Investorengruppe zerschlagen hat. Ulm steht damit, wie zuvor schon die SpVgg Weiden, als Absteiger aus der Regionalliga Süd fest.

"Die uns übermittelten Zahlen und Daten haben gezeigt, dass die Verhinderung einer Insolvenz mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen wäre. Die maximalen Verbindlichkeiten sind weitaus höher als 600 000 Euro", wird der Laupheimer Rechtsanwalt Andreas Straub, Sprecher des Konsortiums, von der "Südwest Presse" zitiert. Insolvenzverwalter Hörmann schätzt, dass etwa 800.000 Euro notwendig gewesen wären, um die Eröffnung des Verfahrens zu verhindern: "Dazu hätten nicht nur die bestehenden Verbindlichkeiten abbezahlt werden müssen, sondern auch weitere laufende Kosten."

"Der SSV-Fußball ist wie ein Restaurant mit schlechter Lage, schlechter Küche und unfreundlichem Personal. Bei einer Insolvenz in der Wirtschaft hat eine Firma ein Produkt. Das einzige Produkt, das der SSV hat, ist sein Image, und das ist angekratzt", wird Hörmann in der Südwest-Presse zitiert. Das Blatt konstatiert derweil: "Ob Steuerfahndung, Wettskandal, Krawalle bei bestimmten Spielen durch Problemfans, fehlender sportlicher Erfolg: Der Verein leidet seit Jahren unter einem Schmuddel-Image." Das bestätigte auch Hörmann: "Keiner will öffentlich mit dem Verein in Verbindung gebracht werden. Das macht nicht nur die Suche nach Sponsoren so schwierig. Es fehlen auch Leute, die gerade jetzt Verantwortung übernehmen".

Es ist nach 2001 bereits das zweite Insolvenzverfahren, dem sich der Klub stellen muss. Im Gegensatz zur SpVgg Weiden, die sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Spielbetrieb zurückzog, wollen die Ulmer aber bis zum Saisonende weiterspielen, um "die Oberliga für 2011/12 zu sichern". Zudem soll die Zeit genutzt werden, um neue Sponsoren oder Investoren zu finden.

http://www.swp.de/ulm/sport/fussball/regional/ssv_ulm;art4280,781233

Insolvenzticker: Plymouth Argyle

Der krisengeschüttelte englische Drittligist Plymouth Argyle steht vor einem schwierigen Jahresanfang. Aufgrund rückständiger Steuerzahlungen droht dem Verein aktuell ein Insolvenzverfahren. Bis zum 12. Januar 2011 hat die "Plymouth Argyle Football Company (Holdings) Limited" noch Zeit, die ausstehende Summe zu begleichen. Über die Höhe der geforderten Rückzahlung ist nichts bekannt geworden.

Darüber hinaus wartet auf den Klub noch eine weitere Forderung seitens der britischen Finanzbehörden, die bis zum 9. Februar beglichen sein muss. Dabei handelt es sich um die Summe von 760.000 Pfund, deren Zahlungsziel mit Wirkung vom 8. Dezember vom Royal Courts of Justice um 63 Tage verlängert worden war. Der Klub will die nötigen Finanzmittel nun durch den Verkauf von Spielern während des im Januar wiedereröffneten Transferfensters erwirken.

"The Pilgrims" sind seit 2009 immer stärker in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Damals wurde ein Transferverbot über den Klub verhängt. Seit dem Abstieg in die Drittklassigkeit (Sommer 2010) sind zudem die Zuschauerzahlen dramatisch zurückgegangen, und die November-Gehälter konnten nur mit großer Verzögerung gezahlt werden. Zudem droht Argyle der nächste sportliche Abstieg. Gegenwärtig beträgt die Distanz zu den Abstiegsrängen in der Npower Ledague 1 drei Zähler, und mit dem Verkauf von Leistungsträgern würde sich die sportliche Situation in der Rückrunde vermutlich verschärfen.

Experten fürchten, Plymouth Argyle könnte der erste englische Fußballklub seit 1992 werden, der aufgrund finanzieller Probleme liquidiert werden muss.

Montag, 27. Dezember 2010

Montagsmaler: Die Kolumne zum Wochenende

Dieser Winter ändert alles. In Gelsenkirchen-Schalke bricht das Dach ein, und eine Sportart, die eigentlich in bayerische Alpenregionen gehört, seit 2002 aber mitten im Ruhrpott eine künstliche Heimat hat, muss ausgerechnet wegen zu viel Schnee abgesagt werden.

Weit weniger spektakulär, aber mindestens ebenso traurig, fiel auch mein England-Kurztripp den so genannten "Wetterunbillen" zum Opfer. Eigentlich wollte ich Heiligabend im Flieger nach Bristol sitzen und am 26. Dezember im Memorial Stadium gegen Walsall das erste von vier Pirates-Spielen sehen. Auswärtsmatche in Rochdale und Milton Keynes sowie zum Abschluss das Westcountyderby geegn Plymouth sollten folgen. Ein ganz normales, wahnsinniges Fußball-Weihnachten/Neujahr in England eben. Doch mit den Fliegerproblemen hier wie dort und der hohen Wahrscheinlichkeit von Spielausfällen dort habe ich mich selbst zum Ausfall entschlossen. Und tatsächlich fiel schon die erste Partie am Boxing Day gegen Walsall aus. Ärgerlich war's trotzdem, denn Spiele am Boxing Day sind auf der Insel immer ein Highlight.

Es sind ruhige Tage im Fußball, und zugleich sind sie hektisch. Der schönen Stadt Bremen ging mit Hugo Almeida und Ailton gleich zwei aus ähnlichen Gründen bekannte Fußballer verloren. Bei den Bayern darf sich Marc van Bommel verabschieden, und wie lange Bruno Labbadia noch beim VfB Stuttgart den gerade erst ergriffenen Trainerstab schwingen darf, weiß nur der Weihnachtsmann.
Köln trauert um Ex-Keeper Frans de Munck, einen der ersten ausländischen Profis im deutschen Fußball, der am Heiligen Abend verstorben ist. Nebenan in Wuppertal bangt man derweil um seinen Status als Fußballstadt, droht dem so lange am Runge-Tropf hängenden WSV der Super-Gau und Derbys gegen Solingen bzw. Remscheid auf Bezirksebene. Dass der scheidende Mäzen und Präses die Kritiker am liebsten nach Afrika schicken würde, leuchtet mir freilich nicht so recht ein. Wir brauchen Afrika nicht, um Mißwirtschaft zu dokumentieren. Da kann man auch im Bergischen Land bleiben.

Wuppertal war letztes Jahr noch in der 3. Liga, von der sich die ARD nun abwenden will. Trotz guter Einschaltquoten hat man keine Lust mehr auf Drittligagekicke. Zwei Gründe gibt Sportchef Simon an: Die zweiten Mannschaften, die man grundsätzlich nicht zeigt, sowie die mangelnden Einflussmöglichkeiten auf die Spielplangestaltung. Dass beispielsweise Hansa Rostock auf Anordnung der Polizei nur Freitags oder Sonntags spielen darf, kommentiert Simon mit einem launigen "kann nicht sein". Und, was ergibt sich daraus? Na logisch: Fußball befindet sich in den Händen von Gewalttätern und Fernsehdirektoren!

Ich wünsche eine angenehme Restwoche.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Insolvenzticker: Wuppertaler SV

Bei Drittligaabsteiger Wuppertaler SV Borussia drohen in der Winterpause die Lichter auszugehen. Bislang ist es nicht gelungen, die sich nach dem angekündigten Rückzug von Präsident und Sponsor Friedhelm Runge auftuenden Lücken mit neuen Sponsoren bzw. Unterstützern zu stopfen.
Geschäftsführer Achim Weber wird vom Fachblatt "Reviersport" mit folgenden  Worten zitiert: "Finanziell gesehen stehen wir mit dem Arsch an der Wand. Und sportlich sind wir in einer riesigen Talsohle. Wir müssen jetzt alle enger zusammenrücken und einen Weg aus dieser Situation finden. Dies wird alles andere als einfach."

Der scheidende Präsident Friedhelm Runge zeigte sich derweil "entsetzt" von der dramatischen Entwicklung und erklärte: "Am Montag hatten wir eine Sitzung mit Vertretern aller Gremien. Als ich die Details gehört habe, war ich schockiert. Ich habe immer gehört, dass wenn ich den Verein eines Tages verlassen sollte, dann sollte alles besser werden. Nun frage ich mich, wer hinter diesen Gerüchten gesteckt hat. Dieser Mensch, der solch einen Mist erzählt, sollte am besten nach Afrika gehen."

Runge schimpfte gegenüber "Reviersport" weiter: "Ich habe diese Negativstimmung in Wuppertal satt. Hier im Tal geht alles den Berg runter und keiner wehrt sich dagegen. Ich kann es nicht mehr hören, dass die Politiker überall sparen müssen, denn das müssen wir alle. Die Politik ist jetzt gefragt, etwas zu unternehmen. Ansonsten verliert die Region seinen letzten emotionalen Werbeträger."

Die kompletten Statements der beiden WSV-Funktionäre finden sich hier: http://www.wuppertaler-rundschau.de/web/wsvticker-frames.html

Dem WSV bleibt noch bis Mitte Januar, um seine finanzielle Lage zu verbessern und weitere Sponsoren zu akquirieren. Gelingt dies nicht, droht dem Verein nach Ansicht von Beobachtern ein ähnliches Schicksal wie den Nachbarklubs Union Solingen und FC Remscheid, die einst in der 2. Liga spielten und heute in der Versekung verschwunden sind. Der WSV ist der letzte der drei Traditionsvereine aus dem Bergischen Land, der zumindest noch in der 4. Liga aktiv ist und eine große Fanschar mobilieren kann.

Weiterführende Links
Vereinsseite: http://www.wuppertalersv.com/index.php?option=com_content&view=article&id=1825:pressekonferenz-zur-zukunft-des-wsv&catid=34:allgemein&Itemid=55
Fanseite: http://www.rot-blau.com/

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Fußball in Bangladesh

Wunderwelt Twitter. Über diverse retwittererei erreichte mich die Nachricht über einen ganz ausgezeichneten Artikel über den Zustand des Fußballs in Bangladesh, den ich Euch nicht vorenthalten möchte. Leider auf Englisch...

http://inbedwithmaradona.com/why-football-in-bangladesh-is-dying/

Afrikameisterschaft 2012: Gabun macht gute Fortschritte

Gabun, gemeinsam mit Äquatorial-Guinea im Januar und Februar 2012 Gastgeber der Afrikameisterschaft, wurde vom afrikanischen Fußballverband CAF für den Stand seiner Vorbereitungen gelobt.


Bei einer dreitägigen Inspektionsreise traf die von Almany Kabélé angeführte Funktionärsgruppe gute infrastrukturelle Fortschritte im sportlichen Sektor als auch bei den Hotelkapazitäten an. Sowohl in der Hauptstadt Libreviille als auch in Francheville entstehen nagelneue Stadien mit Kapazitäten von 45.000 bzw. 40.000 Plätzen. Bezüglich der Übernachtungskapazitäten wird davon ausgegangen, dass bis zu 800.000 Fans nach Gabun reisen werden. "Wir werden eine tolle Afrikameisterschaft in Gabun erleben", wird ein Sprecher zitiert.

Gabun lebt - wie auch Mitausrichter Äquatorial-Guinea - von seinem Ölreichtum, das ihm Reichtum beschert hat. Der kommt allerdings nur bei einer kleinen Gruppe an, da das über 40 Jahre lang vom autoritären Präsidenten Omar Bongo geführte Gabun zugleich von Korruption beherrscht wird. Seit Bongos Tod im Juni 2009 führt dessen Sohn Ali das Land. Seine Wahl gilt allerdings als umstritten, und demokratische Verhältnisse sucht man ebenso wie in Äquatorial-Guinea vergeblich. Klimatisch ist das Land, in dem einst der Schweizer Missionsarzt Dr. Albert Schweizer sein berühmtes Tropenkrankenhaus in Lambaréné betrieb, von hoher Luftfeuchtigkeit und Tropenklima geprägt.
Der Zustand des gabunischen Fußballs ist vorsichtig umschrieben "entwicklungsfähig". Trotz namhafter Trainer wie des Brasilianers Jairzinho und des Franzosen Alain Giresse konnten "Les Panthères" bislang nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. 2010 scheiterten sie bereits in der ersten Runde der Afrikameisterschaft in Angola. Dem sportlichen Abschneiden der eigenen Elf gilt daher auch die größte Sorge der Gabuner vor der Afrikameisterschaft 2012. Weitere Informationen über den Fußball in Gabun können dem zweiten Band der Weltfußball-Enzyklopädie (Amerika, Afrika und Ozeanien) entnommen werden http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node/83.

An dieser Stelle gleich noch ein Hinweis in eigener Sache, da er thematisch prima passt. Ich werde von Januar bis Mai selber in Afrika sein. Dabei begebe ich mich allerdings nur bedingt auf die Spuren des Fußballs. Statt dessen bin ich als Teilnehmer der Tour d'Afrique unterwegs, des längsten Radrennens der Welt. Über 12.000 Kilometer werden wir in vier Monaten von Kairo nach Kapstadt radeln. Während dieser Zeit muss der "Fußballglobus" leider ruhen. Dafür werde ich vor Ort über meine Erlebnisse in Afrika bloggen. Dazu gibt es bereits einen Blog, auf dem ich regelmäßig über den Stand meiner Vorbereitung berichte. Wer neugierig ist, kann mal auf http://hardygruene.wordpress.com/ vorbeischauen.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Insolvenzticker: DVV Coburg

Auch der bayerische Landesligist DVV Coburg muss seinen Spielbetrieb zur Winterpause einstellen. Grund: Der Klub hat gegenüber dem Finanzamt Verbindlichkeiten im sechstelligen Bereich (berichtet wird von 100.000 Euro), nachdem Nachforderungen aus den Jahren 2000 bis 2008 aufgetaucht sind.

Der DVV Coburg entstand vor zehn Jahren durch die Fusion von DJK Viktoria und Traditionsverein VfB Coburg. Das Kürzel "DVV" steht für DJK Viktoria VfB. Bereits seit einigen Jahren kursieren regelmäßig Insolvenzgerüchte um den Verein.

Zunächst hatte die Vereinsführung noch versucht, den Spielbetrieb mit Akteuren aus der Reserve und den U-19-Junioren aufrechtzuerhalten. Geplant war zudem, die Reserve aus der Bezirksliga abzuziehen. DVV-Trainer Stefan Braungardt war mit den Worten zitiert worden: "Ich will bis zum Saisonende gerne helfen den Klassenerhalt in der Landesliga zu schaffen. Aber der Verein muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Spielbetrieb fortgesetzt werden kann. Denn dazu benötige ich Spieler. und gehofft: Aus meiner Sicht ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass der Verein beide Herren-Mannschaften im Spielbetrieb halten kann."

Nachdem die schiefe Kassenlage bekannt geworden war und die Klubführung den Spielern grünes Licht für einen Vereinswechsel gegeben hatte, waren jedoch nur neun Akteure in Coburg geblieben, woraufhin auch Trainer Braungardt sein Amt niederlegte. Daraufhin wurde der Rückzug beider Mannschaften beschlossen.

Alle bisher gespielten Partien der Coburger werden nun aus der Wertung genommen. Der Klub ist damit erster Absteiger in der Landesliga Bayern-Nord. Wie es in Coburg weitergeht, ist derzeit ungewiss.

Coburgs Fußballtradition wurde vor allem vom VfB mit seinem charaketeristischen Mohrenkopf-Wappen begründet. Hier das Klubporträt aus dem "Großen Buch der deutschen Fußballvereine".

VfB Coburg
Jahrzehntelang gehörte die Mannschaft mit dem Mohrenkopf im Emblem (nach dem Stadtwappen, in dem der Heilige Mauritius abgebildet ist. Mauritius wird in der Ikonographie als „Mauretanier“, also als Mohr mit dunkler Hautfarbe dargestellt) zu den führenden Teams im hochklassigen Amateurfußball Bayerns. Coburg galt als Zuschauerhochburg, und der VfB, 1907 entstanden und 1929, als er noch am Thüringer Spielbetrieb teilnahm, Halbfinalist in der Endrunde um die mitteldeutsche Meisterschaft, als „Schlafender Riese“. In den 1950er Jahren kickte mit Willy Reitgaßl ein späterer Nationalspieler für den VfB, während der Coburger Halbrechte Heinz Ruppenstein mit dem Karlsruher SC Deutscher Vizemeister wurde. Doch der Zahn der Zeit nagte auch an den Rot-Weißen, die 1962 erstmals drittklassig und 1971 sogar erstmals viertklassig wurden. 2000 musste man seinem wirtschaftlichen und sportlichen Niedergang Tribut zollen und vereinte sich mit der DJK Viktoria zum VfB Viktoria.

 DATEN Verein für Bewegungsspiele Coburg von 1907 e.V. Anschrift des VfB Viktoria: Wiesenstraße 19, 96450 Coburg Telefon 09561-853795 Verband Süd/Bayern Farben Rot-Weiß Kleidung weiß, rot  GESCHICHTE 25.10.1907 gegründet als Coburger FC 11.12.1918 VfB Coburg 1923 + FC Germania Coburg 14.10.1933 FC Viktoria Coburg Frühjahr 1942 KSG Coburg (gemeinsam mit Wehrmacht SV Coburg) November 1945 aufgelöst, Gründung Sportvereinigung Coburg (Zusammenschluss aller Coburger Vereine) 1.4.1947 Sportvereinigung/VfB Coburg 2.12.1948 Abspaltung als VfB Coburg 2000 Fusion mit DJK Viktoria Coburg = VfB Viktoria Coburg  STADION 1909-11 Exerzierplatz Bradensteinsebene, 1911-13 Uferstraße, 1913-2000 Dr. Stocke-Stadion Wiesenstraße (30.11.1913, hieß zunächst „Johann-Leopold-Sportplatz“)

Dieser Artikel stammt aus meinem Buch "Das große Buch der Deutschen Fußballverein", das 2009 im AGON Sportverlag erschienen ist (ISBN: 978-3-89784-362-2, 39,90 Euro).

Montag, 20. Dezember 2010

Montagsmaler. Die Kolumne zum Wochenende

Gestern war für mein 05er Herz endlich mal wieder Fußball angesagt. Allerdings nur in der Halle, und so schön das auch ist, es ist eben nicht "the real thing". Das habe ich mit Göttingen 05 zuletzt am 31. Oktober erlebt, als sich die Schwarz-Gelb-Grünen im Heimspiel gegen Kästorf mit einem 2:2 zufrieden geben mussten. Gehen wir angesichts der Prognosen für den Jahrhundertwinter 2010/11 mal davon aus, dass es vor Anfang April zu keinem nennenswerten Spielbetrieb hier im südlichen Niedersachsen mehr kommen wird, dürfte die Mannschaft satte fünf Monate ohne Pflichtspiel gewesen sein, wenn es wieder los geht.
Das ist, mit Verlaub, absurd. Fünf Monate ohne Spielbetrieb in einer Liga, in der durchaus auch schon Gelder fließen. Fünf Monate keine Einnahmen, fünf Monate "warten" auf das nächste Spiel. Vom Verband sind übrigens im Januar schon die ersten Nachholspiele angesetzt - stattfinden werden die nicht, aber darauf vorbereitet sein, muss man als Trainer und Mannschaft ja doch irgendwie.
Vielleicht sollten wir im Winter einfach nach Katar wechseln. Dort entstehen ja demnächst mit deutscher Hilfe multimoderne Spielstätten, und wie mir die Bilder verrieten, könnte ich auch flugs mit meiner Yacht am Stadiongelände andocken. Super! Leider bin ich kein Abramowitsch und nenne daher auch keine Yacht mein eigen. Und wenn es neuerdings nach Sepp Blatter geht - und nach dem geht es ja in der Regel - wird Katar im Winter 2022 ohnehin geblockt sein. Für dieses Weltturnier der besten Fußballspieler, das aus bislang nicht vollständig geklärten Gründen an das fußballerische Entwicklungsland im Petrodollarparadies ging. Blatter hat sich mal wieder als Meister seines Faches gezeigt. Anfänglich alle Vorstellungen von der Verschiebung der WM in den Winter mit Verweis auf den internationalen Spielbetrieb strikt zurückweisend, ist er nach harscher Kritik von Koryphäen wie Franz Beckenbauer inzwischen großer Fan der weltmeisterlichen Winterspiele. Und wird natürlich für seine plötzliche Weisheit von der internationalen Fußball-Entourage abgefeiert.
A propos "abfeiern". Die Aufregung um die Vergabe der WM 2022 hat sich ja erstaunlich schnell gelegt. Es scheint, als hätten wir uns längst dran gewöhnt, dass demokratische Entscheidungen keine Rolle spielen und man am besten zur Tagesordnung übergeht. Das System funktioniert also. Auch medial. Und für das Hitzeproblem findet sich ja gerade eine Lösung. Ist also alles in Butter, oder? Katar, wir kommen! Früher war Fußball mal "the people's game" und erfreute die Massen. Heute heißt das "for the good of the game" und füllt die Kassen.
Auch Blatters "flapsig" gemeinter Rat an homosexuelle Fußballfans, während der WM in Katar doch besser auf amouröse Aktivitäten zu verzichten, um die Stimmung der Gastgeber nicht zu trüben, machte in der letzten Woche Furore. Liebe Leute! Er hat doch nur Spaß gemacht! Auch ein gewiefter Multufunktionär hat doch wohl das Recht auf Vergnügen - und sei es auf Kosten von "Randgruppen", um deren Akzeptanz es in greisen Funktionärskreisen ohnehin nicht allzu gut bestellt ist. Und außerdem: er hat sich doch entschuldigt! Reumütig, tränenreich, gewitzt. Wenn er "eine bestimmte Gruppe beleidigt habe", so Blatter in seinem Statement, "bereue ich dies". Hurra! Dass Blatter in seinem ursprünglichen Statement nicht von einer "bestimmten Gruppe", sondern sehr konkret von Homosexuellen gesprochen hatte, fällt da doch gar nicht weiter auf, oder? Und dass seine Entschuldigung kein Fitzelchen von Rücknahme seiner ursprünglichen Aussage, nämlich dass homosexuelle Aktivitäten während der WM zu unterbleiben haben, enthält, auch nicht. Es war sozusagen lediglich eine Entschuldigung, dass er ausgesprochen hat, was er denkt (und fordert). Die "Empfehlung" der "Enthaltsamkeit" während der WM aber steht auch nach seiner tränenreichen und reumütigen "Entschuldigung" noch immer unberührt im Raum.
Themawechsel. Was brachte uns das Wochenende? Dortmund eine ungewohnte Niederlage, Schalke das Gefühl, dass nun doch noch was geht. Und Magath möglicherweise doch der Messias ist. Geht ja alles sehr schnell heute. Doch abwarten! Das "System Magath" hat in dieser Saison mehr als nur kleine Aussetzer gezeigt. Ganz zu schweigen von der angespannten Stimmung auf Schalke, wo man vor drei Wochen noch den "Mythos Schalke" zu Grabe trug und wo sich die Fans so uneins wie noch nie sind. Für Euphorie ist da noch kein Platz.
In Kleve stehen sie derweil vor den Trümmern ihres Klubs. Wegen akut drohender Insolvenz hat sich der 1. FC Kleve aus dem laufenden Spielbetrieb abgemeldet. Es ist nach Viktoria Köln, dem Bonner SC, Preußen Hameln, SpVgg Weiden und DVV Coburg (dazu morgen mehr) der sechste Verein, der in der laufenden Spielzeit das Handtuch wirft (und das waren jetzt nur die mir bekannt gewordenen Fälle von "Traditionsvereinen"). Das interessiert jetzt sicher nicht wirklich jeden, denn was kümmert mich so ein popeliger NRW-Ligist? Doch es gibt ein kleines, interessantes Detail. Kleve liegt nicht weit von Düsseldorf, wo demnächst eine Arena für drei Zweitligaspiele errichtet wird. Aus städtischen Mitteln, also aus Steuergeldern. In Kleve hingegen hat man die städtischen Mittel zum Stadionausbau gestrichen, weil die Stadtkasse leer ist. Kleves fußballerischer Bankrott ist sicherlich zu weiten Teilen einer gewagten Finanzpolitik geschuldet und keinesfalls der Stadt anzulasten. Die zweierlei Maß, mit denen im Fußball seit längerem gemessen werden, unterstreicht es trotzdem.
Und noch was zu Düsseldorf (sorry, liebe Fortuna-Fans, es ist wirklich keine Absicht, dass ich so auf Euern Klub eindresche): Eine Untersuchtung brachte hervor, dass die komplexe Spitzensportstruktur der Stadt in den letzten Jahren großen Schaden genommen hat. Eishockey, Handball, Basketball - alles steht inzwischen im übergroßen Schatten der Fortuna bzw. des Fußball und hechelt nach Luft, um zu überleben. So sehr ich den Fortunas-Fans nach so vielen Leiden und auch Ignoranz ihres Klubs in Düsseldorf die Popularität gönne, macht mich diese trendweisende Monopolbildung traurig.
Schöne Woche im Schnee und allen ein erquickliches Weihnachtsfest!

Sonntag, 19. Dezember 2010

Insolvenzticker: 1. FC Kleve zieht sich aus NRW-Liga zurück

NRW-Ligist 1. FC Kleve hat die Konsequenzen aus seiner finanziellen Schieflage gezogen und sein Team mit sofortiger Wirkung vom Spielbetrieb zurückgezogen. "Diese Entscheidung ist vom Vorstand und Verwaltungsrat in einer emotionalen Diskussion einstimmig getroffen worden", erklärte Klubchef Eric Jansen gegenüber "Reviersport".
Der Klub sieht sich mit einer Steuernachzahlung für die Jahre 2005 bis 2008 in Höhe von 570.000 Euro sowie weiteren Nachzahlungsforderungen von Krankenkassen und der Berufsgenossenschaft konfrontiert. Darüber hinaus wird die Stadt Kleve aufgrund ihrer eigenen finanziellen Situation nicht wie erhofft das Erbbaurecht über das Stadiongelände aussprechen, sondern die Rückzahlung der Zuschaussrate von 650.000 Euro für den Stadionausbau verlangen.
Verwaltungsratsmitglied Christian Nitsch sieht den Verein in einer außerordentlich schwierigen Lage: "Sobald ein Anspruch fällig wird, können wir ihn nicht bedienen und eine Insolvenz wäre unvermeidbar." Vor diesem Hintergrund erfolgte nun der sofortige Rückzug aus dem Spielbetrieb der NRW-Liga.
Nitsch: "Eine Insolvenz ist kein Thema, aber so konnte es nicht weitergehen. Durch die frühzeitige Entscheidung erhält nun jeder Spieler die Möglichkeit, in der Winterpause einen anderen Verein zu suchen. Gerade weil einige Fußballspieler ihre Familien hiervon zu ernähren haben, ist dieses Zeitfenster gewählt worden. Diejenigen Spieler, die kein Wechselangebot erhalten, werden selbstverständlich durch den Verein - von uns aus - bis zum Vertragsende weiterhin entlohnt."
Zur Saison 2010/11 will der 1. FC Kleve in der Niederrheinliga einen Neuanfang starten. Dabei sollen vornemlich Akteure aus der eigenen Jugend un dem nahen Umfeld zum Einsatz kommen.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Bristol Rovers

Heute mal aus leider aktuellem Anlass eine persönliche Note. Gestern hat mein englischer Liebling Bristol Rovers Trainer Paul Trollope entlassen. Nach einem 2:6 am Wochenende bei Sheffield Wednesday und dem Aus im Elfmeterschießen des JPT-Cups am Dienstag daheim gegen Exeter war "Trolls" Uhr abgelaufen.

Eine Entscheidung, die ich zugleich äußerst bedaure als auch äußerst richtig finde.

Trollope war einer der erfolgreichsten Trainer in der Geschichte der Bristol Rovers. Unter "Trolls" erreichten the Gas 2007 sowohl das Endspiel im JPT-Cup (verloren gegen Doncaster) als auch das Play-off zur 3. Liga (gewonnen gegen Shrewsbury). Neben den Rovers schaffte es nur Chelsea London, in einem Jahr sowohl im Millenium Stadium als auch im Wembley Stadium zu spielen. Mit dem Sieg über Shrewsbury führte Trollope den Klub zudem endlich zurück in die 3. Liga und beendete damit die düstereste Epoche der Klubgeschichte.

Zurück in der 3. Liga gab es zunächst eine stetige Aufwärtsentwicklung zu beobachten, und der Traum vom Aufstieg in die Championship rückte näher. Zugleich wurden Pläne für den dringend notwendigen Umbau des Memorial Stadiums in Nordbristol vorgestellt. Bristol Rovers war auf dem Weg nach oben!

Dann kam die Finanzkrise, die in England bekanntlich heftige Wirkungen hatte. Plötzlich war die Finanzierung für den Stadionumbau geplatzt. Die Bagger, die schon angefangen hatten, wurden wieder abgezogen und sind seitdem nicht mehr im "Mem" zu sehen gewesen. Finanziell nie auf großem Fuß lebend, hat dies den Klub schwer getroffen. Torjäger Ricky Lambert musste für 1 Mio.Pfund an Southampton abgegeben werden, womit auch die heimlichen Aufstiegsträume zerplatzten. In der Hinrunde der letzten Saison zunächst noch Tabellenführer, rutschten the Pirates in der Rückrunde allmählich ins Mittelfeld ab.

Dies Jahr nun scheint Abstiegskampf anzustehen. Die Kassen sind leer, das Stadion zwar kultig, aber wenig zeitgemäß und das Zerplatzen der Hoffnungen hat schwer auf die Stimmung gedrückt.

Die Rovers waren immer ein Klub der "underdogs". Zusammenhalt, Loyalität - das sind Werte, die den Verein auszeichnen. Werte, die es inzwischen auch in Bristol schwer haben. Die Kritik an Trainer Trollope nahm immer mehr zu und ging, ich habe es selber miterlebt, bisweilen tief unter die Gürtellinie. Die Stimmung unter den Fans war rasch gespalten. "Trollope macht das Beste aus dem wenigen Geld, das er hat", sagten die einen (ich auch), "Trollope hat keine Ahnung", behaupteten die anderen.

Nun musste er gehen, weil er nicht mehr zu halten war. Weil er den sportlichen Niedergang nicht in den Griff bekam. Ende letzter Saison ging mit Steve Elliot eine Galionsfigur der Defensive, weil sein Gehalt zu hoch war. Wenn ich mir die sechs Tore anschaue, die die Rovers am Samstag in Sheffield kassierten, kommen mir die Tränen. Das wäre mit Steve "fu*** brillant" Elliot nie passiert.

Für mich zeigt die Entwicklung bei den den Pirates das Dilemma, in dem viele Klubs auf ähnlichem Level stecken. Das Geld wird weniger, eine neue Zuschauergeneration bringt nicht mehr die alte Leidenschaft und Loyalität mit, jahrzehntealte Attribute gehen den Bach hinunter. Wie schrieb es gestern ein Fan im Rovers-Form: "Fußball hat sich seit 2005 unglaublich verändert. Und das nicht zum guten. Auch hier im Mem".

Wie es weitergeht? Für die Pirates sicher mit Abstiegs- und Überlebenskampf. Der Stadionumbau ist inzwischen in weite Ferne gerückt, und sportlich wird es auch der Trollope-Nachfolger schwer haben, mit dem Team mehr als nur die Klasse zu halten. Viele Fans werden weiter mosern, die Zuschauerzahl kaum spürbar ansteigen. Ein Teufelskreis.

In Bristol werden inzwischen Stimmen laut, die eine Rückkehr zur "no sell, no buy"-Politik der 50er Jahre fordern. Damals haben die Pirates nur mit eigenen Spielern ihre erfolgreichste Zeit verbracht und sogar einen Nationalspieler gestellt. Ich halte eine Wiederholung für unmöglich. Kein Talent würde heute mehr aus Loyalität bei den Rovers bleiben. Mal ganz abgesehen, dass ich meine Zweifel habe, ob der Nachwuchs noch so fließt wie damals in den 50ern, als es auch in Bristol nix anderes als Fußball gab.

Stadtrivale Bristol City geht übrigens den anderen Weg. Mit Hilfe eines zahlungskräftigen Mäzen will der Klub mit Macht in die Premier League. Geklappt hat es bislang noch nicht. Dafür machten die "Robins" allein in der letzten Saison 11 Mio. Pfund Verlust. Selbst City-Fans befürchten inzwischen, dass ihr Klub in große Schwierigkeiten geraten wird, wenn der Mäzen die Lust verlieren sollte, weil es mit dem Aufstieg nicht klappt. Dass England die WM 2018 nicht bekommen hat - Citys Stadion stand auf der Liste der Austragungsorte - war ein weiterer Rückschlag.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Legendäre Vereine: Wacker München

Heute morgen las ich in der Zeitung, dass sich Fußball fernsehtechnisch weiter als Monokultur etabliert hat. Alles andere fällt zunehmend hinten runter, und selbst Disziplinen wie Handball und Eishockey sind inzwischen - TV-technisch - zu Randsportarten degradiert.
Innerhalb des Fußballs existiert ebenfalls eine sich verfestigende Monokultur. Aufmacher auf der Kicker.de-Seite heute war "Schweinsteiger packt aus". Da geht es dann beispielsweise darum, dass Oliver Kahn dem jungen Schweinsteiger, damals noch "Schweini", öfter mal das Handtuch geklaut hat. Nun denn.
Als der Fußball noch keine Monokultur war, lebte er von Derbies und einer Vielfalt, die sich auch in der Breite finden ließ. Doch um hier keine Sozialromantik zu blasen: Fußball hat sich immer verändert, und immer gab es dabei auch Opfer, die auf der Strecke geblieben sind. Von einem dieser Opfer will ich heute berichten: Wacker München, einst ein ernsthafter Rivale von Bayern und 1860 und der "Liebling von München".

Die Geschichte der "Blausterne"
Wacker München
Einer der ganz großen des Münchner Fußballs und phasenweise sogar das Aushängeschild des süddeutschen Spitzenfußballs.
1903 gegründet und bis zum Ersten Weltkrieg unter dem Schirm diverser anderer Vereine vor allem aus dem Turnerlager stehend, schafften die „Blausterne" in den 1920er Jahren ihren Durchbruch. Als sie 1922 zum ersten Mal die Süddeutsche Meisterschaft nach München holten, stand die gesamte Isarstadt hinter den Blau-Schwarzen aus Sendling, die sich weitverbreiteter Beliebtheit erfreuten.
Vater des Erfolges war Eugen Seybold, Gründer des Fachblattes „Fußball", der mit Alfréd Schaffer sogar einen ungarischen Ausnahmefußballer nach München gelockt hatte und bei seinen „Blausternen" unter verkapptem Profitum arbeiten ließ. Mit Heinrich Altvater stand zudem ein deutscher Nationalspieler in der Erfolgself. In der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft wurden die „Blausterne" seinerzeit als Meisterfavorit gehandelt, scheiterten jedoch bereits im Halbfinale an einem furios aufspielenden Hamburger SV, der mit 4:0 gewann.
1928 erreichte der FC Wacker abermals die Endrunde um die „Deutsche" und musste sich erneut erst im Halbfinale geschlagen geben – diesmal der Berliner Hertha. Anschließend gerieten die „Blausterne" zunehmend in den Schatten der aufstrebenden Lokalrivalen FC Bayern und 1860, die die lokale Führung übernahmen.
Für Wacker blieb lange Zeit zumindest die Rolle als Münchner Nummer drei, wobei der Klub unverändert als „heimlicher Liebling" unter vielen Münchner Fußballfans galt. Sportlich indes ging es schleichend bergab. 1938 verlor man erstmals den Erstligastatus, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Etablierung in der Oberliga Süd um Längen verfehlt, rutschte Wacker gar hinab bis in die Drittklassigkeit.
Unter dem ehrgeizigen Präsidenten Alfred Fackler gelang Anfang der 1960er Jahre die Renaissance, die die „Blausterne" 1963 zu den Gründungsmitgliedern der Regionalliga Süd zählen ließ. Doch der geliebten Heimstatt an der Sendlinger Kidlerstraße beraubt und in die weitab des Heimatkiezes gelegene Leichtathletikarena Dantestadion vertrieben, wandte sich Glücksgöttin Fortuna von der Wackeranern ab. Der Klassenerhalt in der Regionalliga wurde verfehlt, und erst 1970 gelang unter Trainer Charly Mai die Rückkehr in die zweithöchste Spielklasse. Dem erneuten direkten Abstieg folgte 1972/73 der dritte Versuch, sich in der Regionalliga Süd zu etablieren, der jedoch unter dem Ex-Löwen Hans Auernhammer ebenfalls misslang. Immerhin konnte im selben Jahr die neuerrichtete Bezirkssportanlage an der Demleitner Straße bezogen und damit die Rückkehr nach Sendling gefeiert werden.
Zwischenzeitlich hatte sich der seit den frühen 1950er Jahren aktive Päsident Fackler zurückgezogen, und auf den FC Wacker kamen schwere Zeiten zu. Das letzte Lebenszeichen setzte der Klub 1975/76, als er sich im Entscheidungsspiel gegen Würzburg 04 die Bayernmeisterschaft sicherte, auf den damit verbundenen Aufstieg in die 2. Bundesliga jedoch verzichtete, weil das finanzielle Risiko zu hoch war. Bis 1989 verdingten sich die „Blausterne" bei dramatisch zurückgehenden Zuschauerzahlen noch als Fahrstuhlmannschaft zwischen Bayern- und Landesliga, ehe ihr dramatischer Absturz einsetzte. Als man von 1992-94 dreimal in Folge abstieg, wurde die Mannschaft sogar vom Spielbetrieb abgemeldet, und der FC Wacker musste 1995/96 in der C-Klasse München, Gruppe 16 einen Neustart beginnen.
Auf die Beine gekommen ist der Klub, dessen Damenabteilung zu den Pionieren im Münchner Frauenfußball zählte und heute als FFC Wacker eigenständig ist, nie wieder. 2009/10 gingen die stolzen „Blausterne" in der A-Klasse auf Punktejagd.

Dieser Artikel stammt aus meinem Buch "Das große Buch der Deutschen Fußballverein", das 2009 im AGON Sportverlag erschienen ist (ISBN: 978-3-89784-362-2, 39,90 Euro).

Dienstag, 14. Dezember 2010

Insolvenzticker: Grenoble Foot 38

Der französische Zweitligist Grenoble GF 38 kommt nicht aus der Krise. Am Wochenende ereilte den Erstligaabsteiger das recht peinliche Pokalaus bei Viertligist Raon-l'Etape (2:3 n.V.). Gestern nun wurde bekannt, dass die französische Fußball-Finanzbehörde DNCG sich erneut mit der undurchsichtigen Finanzsituation des Klubs beschäftigt und ihm mit dem Auschluss aus der 2. Liga gedroht hat.

Grenoble Foot ist seit November 2004 im Besitz des japanischen Investors "Index" und war damit der erste französische Profiklub in ausländischen Händen. Index trat mit dem Vorhaben an, den Klub bis 2014 in die Champions League zu bringen. Es war viel in die Infrastuktur investiert und zudem ein modernes Stadion gebaut worden, als 2008 etwas überraschend der Sprung in die 1. Liga gelang. Nach einer guten Auftaktsaison stieg der Klub 2009/10 in die 2. Liga ab und ziert inzwischen auch dort das Tabellenende.

Das Fachblatt "L'Equipe" berichtete in seiner gestrigen Ausgabe, dass die DNCG erneut die bereits im Sommer geforderte Hinterlegung von fünf Mio. Euro auf ein Treuhandkonto angemahnt hat. "Index" hat wiederholt um Aufschub gebeten. L'Equipe zufolge hat die Gruppe nun noch bis zum 20. Dezember Zeit, seine "Finanzen zu ordnen", ansonsten droht Grenoble Foot 38 die Versetzung ins Amateurlager.

Montag, 13. Dezember 2010

Montagsmaler: Die Kolumne zum Wochenende

Gestern erreichte mich die Nachricht, dass Fortuna Düsseldorf ein neues Stadion baue. Die Arena, die früher mal Rheinstadion hieß und wegen deren wechselnder Bezeichnungen in Düsseldorf bereits zweimal die Straßenschilder gewechselt wurden, stünde im Mai "wegen Lena" nicht zur Verfügung. Und weil die Fortuna in jenem Zeitraum drei Heimspiele auszutragen habe, müsse nun ein neues Stadion her.
Ein neues Stadion. Aha. Für drei Spiele. In der 2. Bundesliga. Drei! Ist der Fußball nun endgültig verrückt geworden? Düsseldorfs OB Dirk Elbers mag ja Recht haben mit seiner Beteuerung, "dass die Vorteile an der Arena überwiegen". Bedenklich bleibt die Entscheidung dennoch. Nicht nur, weil das Paul-Janes-Stadion, Fortunas Heimat für viele Jahrzehnte und einst Schauplatz zahlreicher Düsseldorfer Bundesligaspiele, bei der internen Abwägung den Kürzeren gezogen hat. Weil die Sponsoren dort nicht vernünftig sitzen können, und weil man in eine nicht sonderlich attraktive Gegend von Düsseldorf fahren muss, um sie zu erreichen. Flingern ist übrigens die historische Heimat der Fortuna. Nur mal so nebenbei bemerkt.
Was für Dimensionen hat der Fußball angenommen, dass es notwendig scheint, für drei Spiele ein Stadion aufzubauen? Sicher, das macht man heute für jedes bessere Beach-Volleyball-Turnier in den Stadtzentren von Kirchheimbolanden oder Buxtehude auch. Wobei die Eventkultur derlei Veranstaltungen für die Ausrichter finanziell sogar aufgehen lässt. Aber Fußball? Hatte "Heimat" im Fußball nicht mal eine ganz besondere Bedeutung? Vorbei und vergessen! Um drei profane Zweitligaspiele auszutragen, reicht eine Spielstätte wie das Paul-Janes-Stadion offenbar nicht mehr. Das, was sich heute um die 90 Minuten herum abspielt, verlangt eben ein anderes Ambiente als ein paar Sitzschalen in einer nostalgiereichen Sportanlage.
Das wirft die Frage auf, auf welchem Weg sich der Fußball eigentlich befindet. Auch die samstägliche Sportschau lässt nämlich den Schluss zu, dass er inzwischen komplett mit sinnloser Bedeutung überladen ist. Nehmen wir das Beispiel Podolski. Das Spiel Köln gegen Frankfurt war nebensächlich. Wichtig war Poldi und seine mysteriöse Verletzung. Der rote Faden in einem Spielbericht, der kein Spielbericht war. Sondern eine daily soap aus dem Leben von Poldi. Alles andere - Staffage. Fans, Mitspieler, Gegner. Der Höhepunkt dann zum Schluss: die stolze Präsentation der Plexiglasscheibe aus Leverkusen, die Poldis Wutattacke am Wochenende zuvor nicht hat standhalten können. Genüßlich vorgezeigt in diversen Fußballshows. Mit schmunzelnder Bewunderung für einen Spieler, der seine Liebe zum Verein derart plastisch dokumentiert. Als Hertha-Fans in der letzten Saison ihre Sorgen um ihren Klub auf ähnliche Art an den Plexiglasscheiben der Trainerbänke im Olympiastadion dokumentierten, waren das Verbrecher. Und der 16-jährige St. Pauli-Fan, der kürzlich einen Schneeball warf, durfte anschließend seine Dauerkarte abgeben. In Leverkusen aber wurde ein Held geboren.
Halt, nicht aufschreien! Ich will nicht Lukas Podolski und die Hertha-Randalierer in einen Topf werfen. Und ich will schon gar nicht die Randale der Hertha-Fans relativieren oder gar rechtfertigen. Aber wieso darf Podolski für eine Attacke abgefeiert werden, für die jeder von uns einen Strafzettel kriegen würde?
Weil er Teil der Show ist? Einer Show, für die man schnell auch mal ein Stadion für drei Spiele baut? Und einer Show, bei der wir die zahlende Entourage sind?
Eine schöne Woche wünscht Euer Montagsmaler Hardy

P.S.: Hier die englische Sicht auf den Zustand des "beautiful game":
http://footballpubcast.clubfans.co.uk/2010/12/13/football-is-morally-bankrupt-i%e2%80%99ve-had-enough/?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

Ausschreitungen in Amman: das Duell Al-Wihdat vs. Al-Faisaly

Am Wochenende kam es in der jordanischen Hauptstadt Amman zu Unruhen im Anschluss an das Ligaspiel Al-Faisaly gegen Al-Wihdat. Das Duell zwischen Faisaly und Wihdat hat einen brisanten politischen Hintergrund. Nachstehend die Porträts beider Klubs aus dem ersten Band der Weltfußballenzyklopädie. (Ein Bericht über die Ausschreitungen siehe: http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,734074,00.html)

AL-FAISALY AMMAN Der älteste Klub des Landes (1932 gegründet) steht traditionell dem Königshaus nahe und ist mit 30 Titeln Rekordmeister. Zwischen 1959 und 1974 stellten die Blau-Weißen mit 15 Meisterschaften in Folge sogar einen Weltrekord auf. Der Klub wurde nach dem 1928 verstorbenen irakischen König Faisal benannt (Bruder von Jordaniens Monarch Abdullah I.) und wird überwiegend von Nachkommen jordanischer Beduinen-Stämme unterstützt. In seiner Glanzzeit in den 1960er Jahren vertraute er auf eine von Sultan Al-Adwa, Mohammed Aud, Mustafa Al-Adwan, Adnan Masud, Wagadat Al-Minem und Ibrahim Mustafa gebildete Stammformation. Später ragte Mittelstürmer Ibrahim Mustafa aus der Elf heraus, ehe in den 1980er Jahren Spieler wie Khalid Aud, Gamel Abu Abid und Milan Abassy prägend waren. Al-Faisaly stellt traditionell den Stamm der jordanischen Nationalmannschaft. International ist der Klub der bislang erfolgreichste des Haschemitischen Königreiches. Nachdem 2002/03 bereits der Einzug in die dritte Runde gelungen war (Aus gegen Esteghlal Teheran), holte Al-Faisaly 2005 und 2006 sogar jeweils den AFC-Cup der »entwickelten« Nationen nach Amman. 2005 konnte man sich im Endspiel gegen den libanesischen Meister Al-Nejmeh Beirut durchsetzen, während 2006 unter Trainer Adnan Hamd der bahrainische Titelträger Muharraq bezwungen wurde (3:0, 2:4).

AL-WIHDAT AMMAN Wihdat (»Einheit«) steht in erster Linie für einen schweren innenpolitischen Konflikt, der Jordanien über Jahrzehnte quälte. Wihdat ist ein vor den Toren Ammans gelegenes palästinensisches Flüchtlingslager, das 1950 eingerichtet wurde, nachdem Jordanien das für den geplanten palästinensischen Staat vorgesehene Westjordanland besetzt hatte. Anfangs etwa 5.000 Köpfe stark, wuchs das Lager binnen weniger Jahre auf rund 30.000 Menschen an und avancierte zum politischen Hauptquartier von Yassir Arafats Palästinenser-Organisation PLO. Innerhalb des Lagers wurde auch eine Fußballmannschaft gebildet, die 1975 in die jordanische Nationalliga aufstieg. Da die jordanische Führung im Anschluss an den Bürgerkrieg gegen die palästinensischen Fedayeen versuchte, die palästinensische Identität zu unterdrücken, wurde Wihdats Fußballteam zu einem Politikum und heimlichen Repräsentanten der Palästinenser, dessen Geschicke weit über Ammans Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregten. Selbst im fernen Gazastreifen wurde gejubelt, als die Mannschaft 1980 erstmals jordanischer Landesmeister wurde. Auf der anderen Seite kam es bei den Ligaspielen der palästinensischen Elf gegen königstreue jordanische Teams regelmäßig zu Ausschreitungen. Vor allem das Verhältnis zwischen Al-Wihdat und dem Königsklub Al-Faisaly war von Gewalt überschattet, die sogar mehrere Menschenleben forderte. Nachdem es 1986 im Rahmen eines Spiels gegen Al-Ramtha Irbid erneut zu Ausschreitungen gekommen war, wurde Al-Wihdat von der jordanischen Regierung verboten. Der Nachfolgeverein Nadi Al-Diffatain (»Klub der zwei Banks«, gemeint sind die West Bank/Westjordanland und die East Bank/Gazastreifen) wurde derweil unter jordanische Führung gestellt und bekam zur Auflage, sowohl palästinensische als auch jordanische Spieler aufzunehmen. Schon zwei Jahre später gelang der erneute Titelgewinn. Nach den ersten demokratischen Wahlen im November 1989 wurde der Klub schließlich an die Palästinenser zurückgegeben, und er durfte seinen Gründungsnamen wieder annehmen. 1990 qualifizierte sich Al-Wihdat als erster jordanischer Klub für die Endrunde um die Asienmeisterschaft, konnte aber aus finanziellen Gründen nicht zum Endturnier nach Malaysia reisen. Gemeinsam mit Al-Faisaly dominieren die Palästinenser seit Jahrzehnten den jordanischen Ligafußball, wobei sich das Verhältnis zwischen den beiden Klubs inzwischen deutlich entschärft hat.

Samstag, 11. Dezember 2010

AS Magenta aus Neukaledonien - geht das Märchen weiter?

Am heutigen Samstag ab 13 Uhr will der neukaledonische Klub AS Magenta Nouméa seinen Ruf als frischgebackener Pokalschreck in Frankreich verteidigen. Die Lila-Weißen aus dem französischen Überseedepartement treffen dabei in der siebten Runde auf den Drittligisten Paris FC.

Dabei stoßen nicht nur sportlich zwei Welten aufeinander, sondern auch klimatisch. Als die Mannschaft aus Neukaledonien vorgestern nach einem 19-stündigen Flug in Paris ankam, musste sie sich mit einem Temperaturunterschied von etwa 30 Grad arrangieren. Während das Termometer in Paris die 0-Grad-Marke nicht überschritt und die französische Hauptstadt im Schnee erstickte, herrschten auf Neukaledonien wohlige 30 Grad und Sonnenschein.

Der Außenseiter geht mit gesundem Selbstvertrauen in die Partie. "Im Fußball ist alles möglich", meinte Verteidiger Judicaël Ixoee. "Wir spielen hier das Spiel unseres Lebens und wir haben nur ein Ziel: weiterkommen. Auch wenn der Paris FC natürlich hoher Favorit ist, können wir Großes erreichen".

Um sich perfekt vorzubereiten, erhielten die neukaledonischen Amateure zwei Trainingseinheiten von Antoine Kombouaré, dem Trainer von Erstligist Paris-SG, der aus Neukaledonien stammt.

Aktueller Update um 14.54 Uhr: Der Husarenritt ist gestoppt. Paris gewann souverän mit 4:0.

Freitag, 10. Dezember 2010

Klub-WM in den VAE: CF Pachuca

Anlässlich der Klub-WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten heute mal ein Klubporträt aus dem zweiten Band meiner Weltfußballenzyklopädie: CF Pachuca aus Mexiko. Dessen heutiger Gegner ist Afrikameister TP Mazembe Lubumbashi (Portät hier: http://fussballglobus.blogspot.com/2010/11/tp-mazembe-vorzeitig-afrikameister.html)

CF Pachuca
Die Stadt Pachuca de la Franja ist Mexikos Fußballwiege. Der 1901 von englischen Technikern und Minenarbeitern der »Compañía Real del Monte« gegründete Pachuca Athletic Club wurde zwar schon 1920 aufgelöst, fand aber 1921 im Club de Fútbol Pachuca einen Nachfolger. Nach sportlich wie finanziell schwierigen Jahrzehnten gelang »los tuzos« 1967 endlich der ersehnte Aufstieg in die Nationalliga, in der man sich allerdings nach diversen Auf- und Abstiegen erst ab 1998 unter Trainer Javier Aguirre dauerhaft etablieren konnte. Mit dem Gewinn der Wintermeisterschaft 1999 läutete der von Präsident Jesús Martínez angeführte Klub eine sensationelle Erfolgsära ein. Neben vier weiteren Landesmeisterschaften ragen seitdem der Gewinn der Kontinentalmeisterschaft 2007 und 2008 sowie der der Copa Sudamericana 2006 – die Pachuca als erster CONCACAF-Klub aus Südamerika entführte – aus den Annalen heraus.

Dieser Beitrag stammt aus der Fußballweltenzyklopädie, Band 2 (Afrika, Amerika und Ozeanien). Verlag Die Werkstatt, ISBN: 978-389533640-9, 472 Seiten, 39,90 €

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Ende oder Umbruch der dörflichen Fußballvereinskultur?

Heute bekam ich das aktuelle Jahrbuch des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte (NISH). Ich durfte mich in dem Band ein wenig über den Zustand der dörflichen Fußballvereinskultur auslassen (hier das komplette Inhaltsverzeichnis: http://nish.de/html/uploads/File/JB%202009-10.pdf. Bezug über: http://www.nish.de/neu/html/nish.php?p=bookshop&s=bookshop_neu).


Verein war gestern, heute ist die Welt
Ende oder Umbruch der dörflichen Fußballvereinskultur


Als meine Frau und ich vor einigen Jahren von Göttingen aus „aufs Land“ zogen und im knapp 250 köpfigen Weißenborn (Gemeinde Gleichen) landeten, stellte sich die Frage nach der schnellstmöglichen Integration ins Dorfleben. Parteipolitische Ambitionen hatten wir keine, und für die Feuerwehr fühlten wir uns auch nicht geeignet. Der Schützenverein war ebenfalls nicht unsere Bühne.

Glücklicherweise wird in Weißenborn aber noch immer vereinsmäßig Fußball gespielt. Glücklicherweise deshalb, weil das heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr für ein 250 Seelen-Örtchen ist, und glücklicherweise deshalb, weil der Fußball als globale Sprache auch in unserem Fall in Form der erhofften Integration ins Weißenbörner Dorfleben funktionierte.

Nach zwei Spielbesuchen kannte uns die halbe Mannschaft, und als mir beim dritten Spiel ein etwas lautstarker und zudem ziemlich parteiisch gefärbter Kommentar über eine Schiedsrichterentscheidung entglitt, saßen wir nach dem Abpfiff erstmals mit Mannschaft, Betreuern und Fans gemeinsam beim Bier. Binnen sechs Wochen waren wir integriert und brauchen fortan bis zu einer Stunde, um die kaum 300 Meter Fußweg vom Sportplatz bis zu unserem Haus zurückzulegen, da wir zwischenzeitlich immer wieder in Gespräche verwickelt wurden.

Fußball öffnet die Herzen der Menschen und, wie in unserem Fall, auch Türen, die für „Auswärtige“ (noch dazu naive Städter wie uns) normalerweise auf Jahre geschlossen bleiben. In Gesprächen mit anderen Zugezogenen, die bisweilen schon seit Jahrzehnten in Weißenborn leben, stellte sich heraus, dass die meisten eine Integration ins Dorfleben für Unmöglich erachteten. „Die lassen keinen an sich ran“, hieß es resignierend. Allerdings hatten sie es weder über den Schützen- noch den Fußballverein versucht und sich auch bei der Freiwilligen Feuerwerk nicht blicken lassen.

Für uns hingegen dauerte es nicht lange, da waren wir Teil der Vereinskultur. Eine Vereinszeitung entstand in unserem Hause, eine Homepage wurde ins Netz gestellt, und gemeinsam feierten wir den Aufstieg des FC Rittmarshausen-Weißenborn in die Kreisliga. Das war natürlich nicht uns sondern ausschließlich der Mannschaft zu verdanken, machte uns aber nichtsdestotrotz stolz wie Otto: Wir waren Weißenbörner!

Inzwischen wohnen wir in der Eichsfeldgemeinde Langenhagen bei Duderstadt, die zwar deutlich größer ist, in der uns aber auf ähnliche Art und Weise rasch die Integration gelang. Ein paar Mal auf dem Sportplatz blicken lassen, hier und dort ein bisschen Fachsimpeln und schon erhielten wir zum Sportfest eine persönlich überbrachte Einladung. Wunderbarer Fußball!

In Langenhagen offenbarte sich allerdings auch eine Entwicklung im Fußball, die nichts Gutes für die Zukunft ahnen lässt: Vereinskultur war gestern und beschränkt sich in bedrohlichem Maße auf die alten grauen Männer im Dorf, während sich die Jugend spottend und gelangweilt abgewandt hat. Nimmt man die abnehmende Bereitschaft am Ehrenamt hinzu, bedarf es nicht viel, um zu erkennen, dass engagierten kleinen Sportvereinen wie dem FC Rittmarshausen-Weißenborn oder dem VfR Langenhagen eine schwierige Zukunft bevorsteht. Oder konkreter: dass sie möglicherweise keine Zukunft mehr haben.

Eine jahrhundertealte Vereinskultur ist gegenwärtig dabei, Geschichte zu werden. Nicht nur in Langenhagen hat man heute große Mühe, genügend Kickerbeine für eine einzige Mannschaft zusammen zu bekommen. Vor zwei Jahrzehnten balgten sich die Jugendlichen im Ort noch darum, in die „Erste“ zu kommen und bildeten, wenn das nicht klappte, die „Zweite“ und „Dritte“. Im Nachwuchsbereich waren vor allem die jüngeren Jahrgänge dicht besetzt, mussten auf dem örtlichen Sportplatz täglich mehrere Übungsstunden abgehalten werden.

Heute trifft man nur selten Übungsleiter dort an. Die Zahl der seit langem gemeinsam mit den Nachbardörfern in einer JSG betreuten Jugendlichen ist überschaubar geworden, und die einst so stolze „Erste“ ist inzwischen auch die einzige Mannschaft im Spielbetrieb und kämpft in der 2. Kreisklasse ums Überleben. Für den VfR Langenhagen stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob er möglicherweise mit einem Nachbarklub fusionieren muss, sondern nur noch, wann er fusionieren wird.

Wenn man mit „den Alten“ zusammensitzt, kommt das Gespräch automatisch auf „früher“. „Früher war alles besser“, das wird wohl jede Generation von sich behaupten. „Da stand das ganze Dorf noch zusammen, war der Sportplatz voll“. Wenngleich derlei Floskeln intensiven Recherchen in der Regel nur selten stand halten, zeigt sich in der Retrospektive eben vieles schillernder und schöner, als es tatsächlich war. Und erlaubt das Alter nicht auch eine gewisse selektive Wahrnehmung und Erinnerung?

Dennoch: „Früher war alles besser“ – da ist schon was dran! Früher gab es in Dörfern wie Weißenborn oder Langenhagen die „großen Drei“ (Feuerwehr, Schützenverein und Fußballverein), über denen im katholischen Eichsfeld noch die Kirche stand. Um diese vier Institutionen drehte sich das gesellschaftlich-kulturelle Leben im Dorf. Osterfeuer, Fronleichnam, Sportfest, Schützenfest, Feuerwehrwettbewerbe, Ligaspiele – die Eckpfeiler eines jeden dörflichen Jahres.

Heute hat die Kirche ihren sittlichen Auftrag an McDonalds und Disco verloren, stehen Feuerwehr, Schützenverein und Fußballklub ohnmächtig vor den Folgen der grenzenlosen Mobilität. Früher diente der Fußballklub als Mittel zum Zweck, um am Wochenende gemeinsam mit den Kumpeln endlich mal aus dem Dorf herauszukommen und die überbordenden Kräfte mit den Jungs aus der Nachbarschaft zu messen. Heute macht man (spätestens) mit 18 seinen Führerschein, sorgt das rasante Lebenstempo für einen eklatanten Bedeutungsverlust des häufig so liebevoll gepflegten sozio-kulturellen Angebots der Heimatgemeinde.

Verein war gestern, heute ist „die Welt“. Verstärkt wird dieser Prozess durch das Internet, mit dem auch das entlegendste Dorf seine Rückständigkeit eingebüßt hat. Globalisierung betrifft eben auch den ländlichen Raum. Das zeigt sich in Langenhagen u.a. an den Fahnen von drei verschiedenen Fußballklubs, die gegenwärtig auf Privathäusern wehen: Schalke 04, einem Klub, der aus historischen Gründen beliebt in den hiesigen Arbeiterdörfern ist (in den 1920er Jahren arbeiteten viele Eichsfelder unter der Woche im Ruhrgebiet), Eintracht Braunschweig als regional wirksamer Verein – und Real Madrid. Aber jetzt mal ehrlich: wer hätte sich denn vor 20 Jahren eine Real-Fahne aufs Haus gestellt?

Was ist eigentlich ein Verein, und was macht Vereinskultur aus? Vieles hat mit Symbolik und regelmäßig wiederkehrenden Ereignissen zu tun. Vereinsfarben und Klublogo schaffen ein

Zusammengehörigkeitsgefühl bzw. Lagerdenken, das bei den Ligaspielen emotional ausgelebt wird. Denn das ist ja einer der reizvollsten Aspekte im Alltag eines Fußballfans: Wo man sonst den Geboten der Fairness und des Abwägens folgen sollte, MUSS man im Fußball schlicht parteiisch sein, um das Spiel mit allen Fasern genießen zu können. Symbolisch dafür stehen Farben und Logo. Übernommen aus der militaristischen Tradition, haben sie im Fußball einen stammesrituellen Zweck im Sinne von „Hier steht meine Truppe, hier liegt meine Loyalität“.

So war das auch damals in den 1960er Jahren, als sich in den großen Fußballklubs der Republik die ersten Fanklubs bildeten. Eine Entwicklung, die nicht zufällig mit der seinerzeitigen gesellschaftlichen Aufbruchstimmung einherging. Zuvor hatte man schlicht nebeneinander gestanden, gelegentlich miteinander gesungen und seine Fähnchen geschwenkt. Mit der Spaltung der Fußballwelt in eine von (bezahlten) Spielern und eine von (zahlenden) Fans, konkret geworden durch die Spielfeldzäune, die Ende der 1960er Jahre auftauchten und die die längst von den Zuschauern entfremdenden Spieler schützen sollten, bildeten sich Fanklubs als „Klubs neben dem Klub“. Bei Hannover 96 versuchte man zunächst, den Fanklub „Club 96“ unter dem Dach des Vereins zu organisieren, um ihn besser kontrollieren zu können. Doch schon nach wenigen Monaten spaltete sich eine Gruppe ab, die mit der offiziellen Vereinspolitik nichts am Hut hatte. Sie gründete die „Roten Wölfe“, eine der später gefürchtetsten Fangruppen der 96er.

Den Sportvereinen kommt heute häufig nicht mehr die gruppenbildnerische Bedeutung früherer Jahre zu. Während städtische Vereine darauf mit einer Neuausrichtung in Richtung moderner Sportdienstleister, einem Zusammenschluss mit anderen Klubs oder einem häufig folgenschweren trotzigem Festhalten „an der Tradition“ reagieren können, stehen die dörflichen Klubs vor einem existenziellen Problem. Sie hatten doch einst ein Monopol, und noch in den 1970er Jahren gab es kaum etwas anderes in den Dörfern! Da fuhr man noch immer wie selbstverständlich als geschlossene Einheit zu Auswärtsspielen und verteidigte die Dorfehre im Kollektiv.

Als das individualistische Gedankengut der Achtundsechziger auch den ländlichen Raum erreichte, verschwand dieses Ritual allmählich. Es begann mit dem Tennisboom. Dann kam die zunehmende Mobilität, die den Klubs schwer zusetzte. Die TV-Entwicklung der Bundesliga ließ Klubs wie den VfR Langenhagen plötzlich in Konkurrenz zum FC Bayern stehen. Und das gegenwärtige Ausbluten der Mannschaften ist nur ein weiterer – möglicherweise aber der folgenschwerste - Schritt in der Entwicklung.

Und was ist aus der Vereinskultur geworden? Ehrenamtliche Arbeit macht heute niemand mehr gerne und schon gar nicht umsonst. Sich für seinen Heimatklub zu engagieren, ist auch bei den Aktiven nicht gerade en vogue. Stattdessen wird nach Spesen gefragt, bleibt nach dem Training kaum noch einer zum gemeinsamen Bier im Mannschaftskreise. Vorstandssitzungen, Festausschüsse – da sind die „Alten“ meistens unter sich. Hinzu kommen die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die Finanznöte der Kommunen, die sich im bisweilen bedauernswerten Zustand der Spiel- und Sportstätten widerspiegeln.

Soziologen behaupten, Jugendliche würden Vereine inzwischen „hassen“. Weil sie auf Hierarchien aufgebaut sind, dem Individualismus keinen Raum geben und eine Ein- bzw. Unterordnung verlangen. Stattdessen seien Organisationsformen wie „Greenpeace“ und „Attac“ zeitgemäß. Organisationen, die vom Input des Einzelnen leben.

Und doch engagieren sich Jugendliche für ihre Vereine! Warum wird denn das Klublied von Hannover 96 („Rote Liebe“) gerade von jugendlichen Fans mit großer Inbrunst gesungen, geben aufmüpfige 17-Jährige stolz zu bekennen, dass sie „Rote“ sind? Weil sie das uralte Bedürfnis nach einem Gruppen- und Zusammengehörigkeitsgefühl stillen wollen. Das ist Vereinskultur modern interpretiert! Selbiges zeigt sich auch an der neusten Fanform, den Ultras. Bei den Ultras geht es sogar so kollektivistisch zu, wie selten zuvor in der Geschichte der Fußballfans. Vorne steht einer mit einem Megafon und gibt den Gesang bzw. die Körpersprache vor, während die Masse folgt. Nein, Jugendliche „hassen“ Vereine nicht per se. Sie suchen nur nach modernen Formen.

Kommen wir abschließend noch einmal zurück auf die Dorfebene, wo sich die Veränderungen natürlich ebenfalls widerspiegeln. Im Langenhäger Nachbardorf Fuhrbach haben einige junge Männer die „Fuhrbach Ultras“ ins Leben gerufen. Ganz nach dem großen (bösen) Vorbild gibt man sich durch und durch martialisch: Das Logo besteht aus einer grimmig dreinblickenden Bulldogge, unter der allerdings statt der sonst üblichen beiden Baseball-Schläger zwei gekreuzte Mettwürste zu finden sind – die Mettwurst gilt als kulinarisches Aushängeschild des Eichsfelds. Die „Fuhrbach Ultras“ verfügen aber nicht nur über eine gehörige Portion Selbstironie, sie sind sogar bereit, sich für ihren Klub einzusetzen. Die Mitglieder der ungewöhnlichen Fangruppe, deren Team lediglich in der 2. Kreisklasse kickt, geben unter der Woche den Mannschaftsbetreuer, eilen während des Spiels mit Eisspray aufs Feld, wenn sich ein Spieler verletzt hat und organisieren viele Dinge im Umfeld des Vereins. Sie sind, wenn man so will, „moderne Ehrenamtliche“.

Vereinskultur ist eben neben Sitzungen, Farben und Logo sowie Festen und Spielbetrieb vor allem persönliches Engagement. Unsere Klubs leben davon, dass sich die Menschen einbringen. Genau diese Erfahrung haben meine Frau und ich gleich zweimal gemacht. Allerdings müssen Vereine sich auch modernisieren und zeitgemäß geben, denn wer Vereinskultur mit sturem „Traditionalismus“ gleichsetzt, hat schon verloren.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Insolvenzticker: Update Rot-Weiss Essen

Im Sommer 2010 war Rot-Weiss Essen einer jener Regionalligisten, die nach Beantragung eines Insolvenzverfahrens aus der 4. Liga zwangsabsteigen mussten. Zeitweise drohte dem Klub sogar die Auflösung und damit ein Neuanfang in der C-Klasse. Schließlich konnte der Traditionsverein aber doch in der 5. Liga (NRW-Liga) antreten. Das Schicksal von RWE ging damals bundesweit durch die Presse und wurde exemplarisch für die Situation im Unterbau der Profiligen betrachtet.


Sportlich hat sich der Klub in der NRW-Liga rasch erholt und steuert gegenwärtig - begleitet von enormen Zuschauerzahlen - auf seinen direkten Wiederaufstieg zu. Nun wurde auf der Jahreshauptversammlung auch in wirtschaftlicher Hinsicht Hoffnung verbreitet. Demnach soll das Planinsolvenzverfahren im April oder Mai 2011 abgeschlossen sein, womit RWE schuldenfrei wäre. Insgesamt war der Viertligist mit 18,9 Mio. Euro verschuldet, wobei nur 2,1 Mio. Euro anerkannt wurden. Die Gläubiger können mit einer in derlei Verfahren üblichen Quote von acht bis zehn Prozent rechen. Die bei Ex-Investor Michael Kölmel ("Kinowelt") liegenden TV-Vermarktungsrechte sollen im Rahmen des Insolvenzverfahrens an den Verein zurückgehen.
„Im letzten Sommer war RWE nicht weit von der Kreisliga C entfernt. Jetzt liegt schon ein großer Teil des Weges hinter uns. Noch ist die Sanierung aber nicht abgeschlossen“, erklärte Insolvenzverwalter Dr. Frank Kebekus gegenüber der Presse.

Unter seinem engagierten neuen Vorsitzenden Michael Weling hat RWE in der laufenden Saison mit vorsichtiger und bodenständiger Finanzpolitik die Weichen in Richtung eines zukunftsträchtigen Neuanfang gestellt. Zudem darf der Verein auf ein neues Stadion hoffen, wobei das erst mit einer möglichen Rückkehr in höhere Spielklassen Zug um Zug gebaut werden soll.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Das Alsenborn des Nordens: SC Elmenhorst

Im Rahmen meiner wöchentlichen Kolummne für "Nordsport" habe ich mich kürzlich mit dem SC Elmenhorst beschäftigt - dem "SV Alsenborn des Nordens". Hier das Ergebnis:

Elmenhorst, eine gut 2.500-köpfige Gemeinde vor den Toren Bargteheides, war in den 1970er Jahren bei den Fußballfans im Norden in aller Munde. Bis in die höchste Landesklasse führte der schier unwiderstehliche Aufschwung der „Dorfelf“.


Wenn man in den 1970er Jahren vom aufstrebenden Dorfklub sprach, fiel nahezu zwangsläufig der Name SV Alsenborn. Alsenborn, das ist ein kleines Kaff bei Kaiserslautern, in dem 1954-Weltmeisterkapitän Fritz Walter sein Eigenheim errichtet hatte und das anschließend bis an die Pforten zur Bundesliga klopfte.

Auch Schleswig-Holstein hatte damals ein „Alsenborn“. Es klopfte zwar „nur“ an die Pforten zur Zweitklassigkeit, und es hatte auch keinen Weltmeister zu bieten, seine Geschichte ist dennoch mitreißend und bewegend.

Es geht um Elmenhorst, eine heute 2.500-köpfige Gemeinde vor den Toren Bargteheides. Der dortige Sport-Club Elmenhorst war 1948 ins Leben gerufen worden und hatte sich zunächst wie ein gewöhnlicher Dorfklub entwickelt. Das gesellige Miteinander stand vor dem sportlichen Erfolg. Das änderte sich, als ein vorständliches Dreigestirn aus Martin Fründ (Vorsitzender), Hermann Kielhorn (Obmann/Manager) und Werner Buck (Kassenwart) die Führung übernahm. Plötzlich wurde aus Elmenhorst, damals lediglich rund 1.000 Einwohner stark, eine Fußballhochburg. Mit rührigem Engagement schuf das Dreigestirn die Voraussetzungen, damit der Dorfklub im Konzert der Großen mitspielen konnte.

Der unwiderstehliche Aufschwung begann 1967/68, als den lange in der A-Klasse dümpelnden Blau-Weiß-Roten erstmals in der Vereinshistorie der Sprung in die Verbandsliga Süd gelang. Dort rang man drei Spielzeiten lang erfolgreich um Punkte, als der SCE 1970/71 plötzlich nicht mehr zu stoppen war. Nachdem das Team von Trainer Manfred Tröndle 20 Spieltage lang die Tabelle angeführt hatte, kam es zum brisanten Nachbarschaftsduell mit dem TSV Bargteheide, das über 600 Fans auf den Elmenhorster Sportplatz Siebenbergen lockte. Am Ende ging der SCE als Gewinner aus dem Nachbarschaftsduell hervor und erklomm als Meister die Landesliga Schleswig-Holstein, die damals dritthöchste Spielklasse unterhalb der Bundesliga bzw. der Regionalliga.

Plötzlich gehörte das kleine Elmenhorst zu Deutschlands großen Fußballvereinen!

Und der Aufschwung ging noch weiter. Zwar hatte Erfolgscoach Tröndle aus familiären und beruflichen Gründen zwischenzeitlich sein Amt niederlegen müssen, doch Nachfolger Karl-Günter Wasilewski blieb mit den Blau-Weiß-Roten auf Erfolgskurs. Die Herausforderung im schleswig-holsteinischen Fußballoberhaus waren freilich immens. Immerhin standen dem „Alsenborn des Nordens“ dort renommierte Gegner wie Schleswig 06, VfB Kiel, Flensburg 08, VfR Neumünster und Nachbar VfL Oldesloe gegenüber, zu denen man wenige Jahre zuvor noch ehrfürchtig aufgeschaut hatte.

Und auch logistisch stand der kleine Klub vor großen Aufgaben. Die Gastspiele der lukrativen Gegner auf dem Sportplatz Siebenbergen mussten organisiert werden, und Reisen bis hinauf nach Flensburg oder Westerland waren enorme Herausforderungen. „Doch das rührige Dreigespann Fründ, Kielhorn und Buck wusste hier immer eine Lösung, um die organisatorischen Dinge im Umfeld sicherzustellen“, schwärmte die 1998 erschienene Klubchronik zum 50. Bestehen über den intakten Vereinsgeist jener Erfolgsjahre. Bisweilen war der SCE seiner Zeit sogar weit voraus. So lief man als erster Verein Schleswig-Holsteins mit Trikotwerbung auf („Kaufhaus Nessler“) und verpflichtete mit Ben Kusi einen Nationalspieler aus dem westafrikanischen Ghana, der in der Kate von Vorsitzender Martin Fründ wohnte und eine echte Attraktion für Elmenhorst darstellte.

Die Hinserie 1970/71 sah den SC Elmenhorst auch im schleswig-holsteinischen Oberhaus in die Spitzengruppe stürmen. Nachdem selbst Vorjahrsmeister Rendsburger TSV mit 2:1 geschlagen worden war, ließ es sich auch Verbandstrainer Merkle nicht nehmen, die „Wunderelf“ mal persönlich unter die Lupe zu nehmen. In der Rückrunde jedoch war die Luft raus, und der SCE stürzte in den Abstiegskampf. Am Ende musste man gemeinsam mit Regionalligist Itzehoer SV zittern. Erst als der seinen Zweitligastatus gesichert hatte, durfte auch Elmenhorst in der Landesliga verbleiben.

1972/73 endete das „Wunder Elmenhorst“. Obwohl Aufstiegscoach Tröndle zurückgekehrt war, musste die Dorfelf den Abstieg hinnehmen. Einige Leistungsträger, die der SCE zuvor von auswärts verpflichtet hatte, waren zu besser zahlenden Konkurrenten gewechselt. Das daraufhin mit Akteuren aus der in der A-Klasse aktiven zweiten Mannschaft aufgestockte Team war 1974/75 auch in der Verbandsliga Süd chancenlos, und nach insgesamt fünf Abstiegen in Folge fand sich Elmenhorst bald in der A-Klasse wieder. Da, wo einst alles begonnen hatte.

Der Ruf des „Alsenborn des Nordens“ aber blieb. Bis heute.

Montag, 6. Dezember 2010

Insolvenzticker: Update SpVgg Weiden

Nachdem die SpVgg Weiden aus dem Spielbetrieb der Regionalliga Süd ausgeschieden ist und sämtliche Ergebnisse der Oberfranken annulliert worden sind haben am Wasserwerk die "Aufräumarbeiten" begonnen.

Die Schulden der Schwarz-Blauen belaufen sich auf rund eine Mio. Euro, wobei nach ersten Ermittlungen durch Insolvenzverwalter Stefan Waldherr lediglich "einige 10.000 Euro" zur Verfügung stehen, die "bei weitem nicht reichen", um die Gläubiger zu befriedigen.

Wie es sportlich am Wasserwerk weitergehen wird, ist unklar. Über die Gründung eines Nachfolgevereins wird derzeit beraten. Nach der Winterpause soll dieser dann den Spielbetrieb im Jugendbereich und in der Landesliga (wo die Reserve spielt) wieder aufnehmen. Waldherr führte diesbezüglich bereits "fruchtbare Gesprächen" mit dem Bayerischen Fußballverband sowie dem DFB. "Wir als Verband sind daran interessiert, dass der Spielbetrieb des Vereins in den unteren Ligen weiter gewährleistet wird", bestätigte BFV-Geschäftsführer Jürgen Igelsbacher gegenüber der Presse. An die Wiederaufnahme des Spielbetriebes der 1. Mannschaft in der Saison 2011/12 in der Bayernliga denkt man in Weiden nicht. „Ich glaube nicht, dass wir es wirtschaftlich schultern können, dort anzutreten. Da wäre der finanzielle Aufwand viel zu groß“, begründete Reinhold Schlecht, der sportliche Leiter der SpVgg.

Auch wie es überhaupt zu dem enormen Schuldenberg kommen und wie die SpVgg das Lizensierungsverfahren vor Saisonbeginn überstehen konnte, wird gegenwärtig untersucht. Waldherr hat diesbezüglich "Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten" ausgemacht und festgestellt: "Die Zulassung zur Regionalligasaison 2010/11 wäre Weiden sicher nicht erteilt worden, wenn dem DFB sämtliche Unterlagen vorgelegen wären." In der Kritik - und schlussendlich auch in der Verantwortung - stehen mit Hannes Beer und Thomas Aschauer der 2. Vorsitzende sowie Geschäftsführer des Vereins, deren Unterschriften unter den Lizenzunterlagen steht.

Hier noch eine Stellungname von Ex-SpVgg-Trainer Günter Güttler

http://spvgg-weiden.de/cms/index.php?option=com_content&view=article&id=713%3Aqklub-war-bei-meiner-verpflichtung-schon-tot&catid=36%3Anews&Itemid=56

Sonntag, 5. Dezember 2010

Insolvenzticker: Plymouth Argyle


Dem englischen Drittligisten Plymouth Argyle droht ein Insolvenzverfahren. Der Klub hat noch bis zum 8. Dezember Zeit, seine finanzielle Lage zu sortieren, ansonsten wird die britische Steuerbehörde einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren stellen. Inzwischen wurde zudem bekannt, dass der Verein Spieler- und Personalgehälter für November nicht hat bezahlen können und dass sein Bankkonto gesperrt ist.

Klubdirektor George Synan zeigte sich gegenüber BBC Devon allerdings optimistisch, die Situation lösen zu können. Synan steht den "Pilgrims" seit Juli 2009 vor und verfügt gemeinsam mit dem japanischen Geschäftsmann Yasuaki Kagami über 38 Prozent der Klubanteile.
Als vermeintlicher "Retter" wird der frühere Leeds-, Barnsley- und Cardiff City-Chef und Fußballinvestor Peter Ridsdale gehandelt. Der Geschäftsmann wurde bei mehreren Spielen im Home Park gesehen und befindet sich in Gesprächen mit der Klubführung. Ridsdale ist allerdings nicht umstritten, denn seine drei früheren Klubs entwickelten sich unter seiner Führung von finanziell solide aufgestellten Vereinen in Krisenklubs. Freilich ging Ridsdale niemals mit einem Klub in ein Insolvenzverfahren - Kritiker schreiben das seinem sicheren Instinkt für bedrohliche Situationen zu. Siehe dazu einen Hintergrundbericht auf "twohundrepercent": http://www.twohundredpercent.net/?p=10058.
Über seine Zeit bei Leeds United hat Ridsdale später ein Buch veröffentlicht ("United We Fall: Boardroom Truths About the Beautiful Game ").

Nachdem Plymouth Argyle 2000 unter Paul Sturrock zunächst vor dem Ausscheiden aus der Football League gerettet worden war, genoss der Klub einen steilen Aufstieg und erreichte 2004 die 2. Liga (Championship). Dort entwickelten sich unter dem heutigen Blackpool-Coach Ian Holloway Visionen vom Aufstieg in die Premier League, während das Stadion Home Park zum modernsten im Südwesten Englands umgebaut wurde. In der Saison 2008/09 geriet Argyle allerdings auf die sportliche wie finanzielle Negativschiene und stieg 2009/10 in die 3. Liga (pPower League Division 1) ab. Dort pendeln die "Pilgrims" gegenwärtig am Rande der Abstiegszone und haben einen dramatischen Zuschauerrückgang zu verzeichen. Zum Heimspiel gegen Dagenham and Redbridge zahlten lediglich 4.900 Fans ihren Obolus - die kleinste Kulisse seit vielen Jahren. Die Vergabe der WM 2018 an Rusland war ein weiterer Rückschlag für den Verein, da Plymouth auf der Liste der potenziellen WM-Stätten gestanden hatte.

Samstag, 4. Dezember 2010

Entführte Balltreter

Vor einigen Jahren hatte ich eine später leider eingestellte Kolumne in der "11 Freunde", die sich mit abseitigen Geschichten beschäftigte. Hier eine Folge davon: Entführungen von Fußballspielern.

Entführungen von Fußballer-Müttern sind in Brasilien gerade der große Hit. Die in Europa gut verdienenden Sprösslinge zahlen bereitwillig Lösegelder und inzwischen gibt es sogar Kidnapperbanden, die auf „Fußball-Mütter“ spezialisiert sind. Ansonsten waren derlei Vorfälle im Fußball-Umfeld vornehmlich Thema von Kulturschaffenden. Uwe Ochsenknechts genialer Auftritt als verzweifelter Kidnapper eines Schalke-Stars in „Fußball ist unser Leben“ dürfte allgemein bekannt sein und in dem Wust an Büchern zur WM 2006 befindet sich ein Krimi, der sich mit der Entführung der deutschen Nationalmannschaft beschäftigt.


Einigen Vertreter der tretenden Künste aber ereilte das Schicksal einer wirklichen Entführung. So Barcelonas Torjäger Quini, der sich im Frühjahr 1981 für 24 Tagen in den Händen von Entführern befand, ehe er von der Polizei befreit wurde. 18 Jahre zuvor hatte es einen ganz Berühmten erwischt: Alfrédo di Stefano. Der „blonde Pfeil“ geriet am 26. August 1963 bei einem Besuch in Venezuela in die Hände von Rebellen, die damit die weltweite Aufmerksamkeit auf ihr Land lenken wollten. Die von Maximo Canales angeführte Guerillaguppe FALN war in Polizeiuniformen geschlüpft und hatte an Zimmernummer 219 im Hotel Potoma in Caracas angeklopft, um den Fußballstar aufzufordern, mit ins Präsidium zu kommen, wo er als Zeuge benötigt werden würde. „Als wir das Hotel verließen und in einen schwarzen Wagen stiegen, spürte ich, dass etwas nicht stimmt. Es gab keine offiziellen Zeichen an dem Wagen“, erinnerte sich der in Argentinien geborene Di Stefano später. „Nach einer Weile drehte sich einer der vier Männer zu mir um und teilte mir mit, sie seien Revolutionäre. Sie hätten Waffen, doch wenn ich keinen Widerstand leisten würde, würde mir nichts geschehen. Er entschuldigte sich für die Entführung und wollte mit mir über Politik diskutieren. Ich sagte ihm, dass ich an Politik nicht interessiert sei, sondern nur an Sport. Als nächstes wurde mir eine Augenbinde angelegt, und ich begann allmählich nervös zu werden.“

Während sämtliche Polizeikräfte Venezuelas für die Suche nach dem verschwundenen Star eingesetzt wurden, begann Di Stefanos unbestimmtes Martyrium. „Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn die Polizei das Versteck finden würde. Meine Kidnapper waren jung und couragiert. Sie waren bewaffnet. Sie würden sich verteidigen – und ich würde mich möglicherweise mitten im Feuer wiederfinden“. Eigentlich hatte der Real-Star jedoch gar keinen Grund zur Furcht. „Wir unterhielten uns lange und spielten Domino miteinander. Ich spielte mit dem besten Spieler unter ihnen und gemeinsam gewannen wir alle Spiele“, erinnerte er sich später lächelnd und merkte an, dass die Kidnapper sehr um sein körperliches Wohl besorgt waren. „Sie legten Wert darauf, dass ich ordentlich aß und schlief. ‚Was wird Real-Manager Muñoz sagen, wenn Du nicht schläft?’, sagte mir einer der Entführer immer wieder“.

Nach 24 Stunden endete der Alptraum. Die Rebellen hatten ihr Ziel erreicht und entließen den Real-Star nach weltweiten Presseberichten zurück in die Freiheit. Als er die spanische Botschaft betrat, wurde Di Stefano dort ungläubig empfangen. „Ich werde das niemals vergessen. Botschafter Senator Vega Guerra umarmte mich wie einen lange vermissen Bruder. Seinen Entführern war der „blonde Pfeil“ nicht sonderlich böse. „Das waren Altruisten, die hatten Ideale. Zuhause hängt ein Bild, abgezeichnet von einem der Entführer. Er schickte es mir, um mich für die Leiden zu entschädigen“.

Freitag, 3. Dezember 2010

Die "Fußballnation" Katar

So, nun aber doch noch ein Beitrag zum Thema WM-Vergabe. Ein stiller Beitrag allerdings - das Kapitel Katar aus dem ersten Band der Weltfußballenzyklopädie (Europa und Asien, 448 Seiten, ISBN 978-3-89533-576-1, 39,90 Euro, Verlag Die Werkstatt).
Man beachte den letzten Satz... Ich lass Euch damit nun mal alleine...

Das Fußballparadies in der Wüste
Geld allein macht nicht glücklich – doch es erleichtert das Leben. Diese Binsenweisheit der Reichen und Schönen hat im Scheichtum Katar den Rang einer Lebensphilosophie. Öl und Gas haben das kleine Land am Golf so reich gemacht, dass es kaum weiß, wohin mit all dem Geld.
Einer der Bereiche, in denen die überschüssigen Petrodollars verschwinden, ist der Fußball. Nach der Milleniumswende verwandelte sich Katars unscheinbare Nationalliga schlagartig in eine der am schnellsten boomenden Spielklassen der Welt. Allerdings wurde sie auch zur »Rentnerliga«, denn diverse jenseits des Leistungszenits stehende Herren wie Stefan Effenberg, Gabriel Batistuta, Marcel Desailly und JayJay Okocha ließen sich von den katarischen Argumenten überzeugen und hängten noch ein paar Monate Wüstensandfußball an ihre schillernden Karrieren. Sie kickten in einem Land, das halb so groß ist wie Hessen, nicht einmal 780.000 Einwohner zählt und nach Durchführung der Asienspiele 2006 bereits von der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2016 sowie der Fußball-WM 2014 (oder 2018) träumt.

Mit Emir Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani steht Katars höchster Politiker hinter den ehrgeizigen Sportplänen. Seit er 1995 gegen seinen eigenen Vater putschte (dessen Wirtschaftskurs er als zu »vorsichtig« beurteilte), boomt Katar und liefert sich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ein bizarres Rennen um Bestnoten in Sachen Prunk, Reichtum und internationales Renommee.

Den Preis zahlen ausländische Arbeiter, denn während viele Katarer (die lediglich zehn Prozent der Gesamtbevölkerung stellen) ihr Trinkwasser stilvoll aus vergoldeten Wasserhähnen zapfen, erledigen Zigtausende vom indischen Subkontinent, aus Jordanien oder Ägypten herbeigeschaffte Arbeitskräfte für weniger als einen Euro pro Tag und unter unmenschlichen Bedingungen die »Drecksarbeit«. Auch mit der Freiheit des Denkens ist es in Katar nicht weit her: Während der in Doha ansässige Nachrichtensender »Al-Dschasira« weltweit Furore macht, wird die heimische Presse strikt kontrolliert…

Im Fußball läuft es trotz der massiven Investitionen noch längst nicht rund. Zwar stellt die katarische Regierung jedem Erstligisten pro Spieljahr umgerechnet rund 8,5 Mio. € zur Verfügung und hat landesweit hochmoderne Stadien und Trainingsanlagen aus dem Boden stampfen lassen, zu einer Fußballnation ist Katar deshalb aber noch lange nicht geworden. Selbst die vielen Weltstars und die Aussicht auf freien Eintritt locken selten mehr als ein paar hundert Neugierige in die modernen Stadien.

In Katar hat man durchaus Interesse am Fußball – während der WM 2006 waren auch in Doha Großbildleinwände aufgebaut, vor denen sich Tausende von Vergnügungssüchtigen versammelten. Doch Katars Q-League hat zwei Probleme: Erstens wird sie von der eigenen Bevölkerung nicht ernst genommen, und zweitens identifizieren sich die ausländischen Arbeitskräfte nicht mit den teilnehmenden Teams, sondern folgen lieber via TV dem Fußball ihrer Heimatländer.

Im schwerreichen Katar weiß man freilich Rat. Mit Hilfe einer großangelegten Nachwuchsförderung soll die Grundlage für baldige Erfolge bei prestigeträchtigen Veranstaltungen wie der Asienmeisterschaft oder der WM geschaffen werden, die wiederum das Interesse im Lande ankurbeln würden – so hofft man zumindest. Michael Browne, Chefkoordinator der na­tionalen Sport-Nachwuchsschule »ASPIRE«: »Katar hatte niemals einen Spieler in einer Topliga und war niemals bei einer WM dabei. Unser Ziel ist es, die Natio­nalmannschaft für die kommenden Jahre mit Spielern zu versorgen.« Einen ersten Erfolg gab es 2006 zu feiern, als mit Khalfan Ibrahim ein erst 19-jähriger Katari zu Asiens Fußballer des Jahres gewählt wurde. Andere Talente sammelten derweil Erfahrungen im europäischen Ausland – Adel Jadouh und Saoud Fath kickten bereits für Rapid Wien, Mishal Mubarak bei Feyenoord Rotterdam, Wisam Ritah in Stuttgart.

Die Besinnung auf den eigenen Nachwuchs ist allerdings nur eine Notlösung, denn eigentlich hatte sich das Scheichtum eine Nationalmannschaft »kaufen« wollen. Man war sich bereits mit Akteuren wie Ailton, Leandro und Dede über einen Nationalitätenwechsel einig gewesen, als die FIFA dem Ansinnen einen Riegel vorschob und Katar zwang, sich auf seine eigenen Ressourcen zu besinnen.

Ein Blick in die Vergangenheit: Wie fast überall im Mittleren Osten ist Fußball auch in Katar ein verhältnismäßig junges Vergnügen und ruht auf britischen Wurzeln. Bis in die 1950er Jahre traten nahezu ausschließlich Ausländer gegen den Ball. Erst 1950 wurde mit Al-Ahli der erste katarische Fußballklub gegründet, dem zehn Jahre später der Nationalverband QFA folgte.

Großbritannien war auch politisch sowie wirtschaftlich Katars Ziehvater. Britische Kolonialisten hatten um 1860 die wohlhabende Familie Al-Thani an die Macht gebracht, unter deren Ägide sich der Familiensitz Doat Al-Bidaa in die boomende Metropole Doha verwandelte. 1916 wurde das Scheichtum Katar nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches unter britisches Protektorat gestellt und genoss einen der Perlenfischerei zuzuschreibenden Aufschwung.

Nachdem 1939 größere Erdölvorkommen entdeckt worden waren, wurde das Wüstenscheichtum zum glitzernden und prunkvollen Feudalstaat, dessen Einwohnerzahl durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte drastisch nach oben schnellte. Als Großbritannien seine Truppen 1968 aus der Region zurückzog, verzichtete die katarische Führung auf den eigentlich vorgesehenen Beitritt zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und rief statt dessen im September 1971 den eigenständigen Staat Katar aus.

Keine sechs Monate später putschte sich Kronprinz Scheich Khalifa bin Hamad al-Thani an die Macht und leitete ein umfangreiches Modernisierungsprogramm ein, von dem auch der Sport profitierte. Ziel war es, die Jugend des Landes moralisch zu stärken und sie damit von Drogen und anderen durch den Koran definierten Geißeln fernzuhalten. Auch der Fußball profitierte von der Entwicklung, die neben der Schaffung vorbildlicher Infrastrukturen eine umfassende Förderung auf nahezu allen Ebenen umfasste. Während die bereits 1963 ins Leben gerufene Stadtliga von Doha zur Nationalliga wurde und zudem ein Pokalwettbewerb entstand, nahm die im März 1970 mit einem 1:2 in Bahrain debütierende Nationalelf 1976 erstmals an der Qualifikation zur Asienmeisterschaft teil. Zwei Jahre später folgte das Debüt in den WM-Ausscheidungsspielen.

Als wenig später mit Macedo Evaristo ein ehemaliger Leistungsträger des FC Barcelona zur Betreuung der katarischen Auswahlmannschaften angeheuert wurde, stellten sich erste Erfolge ein. 1981 schaltete die U20 bei der WM in Australien mit Brasilien und England zwei »Große« aus, ehe die sonnenverwöhnten Wüstenkinder in einem von einem Wolkenbruch überschatteten Finale Deutschland mit 0:4 unterlagen. Für jeden Akteur gab es anschließend übrigens ein Haus und eine Nobelkarosse aus dem Hause Mercedes-Benz. Drei Jahre später erreichte die Erfolgself um Torsteher Mohammed Wafah Saami und Mubarak Anbar das Endturnier der Olympischen Spiele in Los Angeles, wo sie allerdings nur einen Punkt (gegen Frankreich) errang.

Ende der 1980er Jahre häuften sich die Erfolge. 1989 bezwang der dem Kronprinzen nahestehende Hauptstadtklub Al-Sadd im Endspiel um die Asienmeisterschaft sensationell den favorisierten Klub Al-Rasheed Bagdad, während die Nationalauswahl nur knapp die WM 1990 in Italien verpasste. 1992 konnte Katar schließlich mit dem Golf Cup erstmals eine Trophäe in Empfang nehmen.

Al-Arabi hatte mit dem Erreichen des Endspiels um die Asienmeisterschaft 1994/95 (0:1 gegen Thai Farmers Bank Bangkok) gerade erneut für internationales Aufsehen gesorgt, als Kronprinz Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani gegen seinen Vater putschte und Katar einen aggressiven, prowestlichen Wirtschaftskurs auferlegte. Er vergaß auch den Sport nicht. »Mit Sport-Investment will ich zum Fortschritt meines Volkes beitragen«, verkündete er – seitdem ist der Wüstenstaat regelmäßig Schauplatz von Großereignissen wie Formel 1-Rennen und Tennis-Weltranglistenturnieren, fließen Preisgelder in unvorstellbaren Dimensionen, rückt das Ziel, Nummer eins im Mittleren Osten zu werden, Stück für Stück näher.

In Sachen Fußball war es Verbandspräsident Saud Al-Mohannadi, der auf den Aufschwung drängte und dabei vordringlich auf ausländisches Personal setzte. Unterstützt wurde er vom katarischen Scheich Bin Hammam, der im August 2002 in einer von Bestechungsgerüchten überschatteten Wahl zum Präsidenten des asiatischen Kontinentalverbands gekürt worden war und als enger Vertrauter von FIFA-Chef Sepp Blatter gilt.

Für viele kurz vor der Pensionierung stehende Weltstars war die Entwicklung ein Geschenk des Himmels, denn just zur selben Zeit brachen die Gehälter im europäischen Fußball wegen der TV-Krise ein. So kam es zu einem regelrechten Massenexodus: Stefan Effenberg, Gabriel Batistuta und Taribo West traten Al-Arabi bei, Mario Basler, die De Boer-Brüder, Fernando Hierro, Sonny Anderson und Ali Benarbia heuerten bei Al-Rayyan an, JayJay Okocha, Christophe Dugarry und Claudio Cannigia fanden beim Qatar SC eine neue Heimat, Frankreichs WM-98-Kapitän Marcel Desailly unterschrieb bei Al-Gharrafa, und der vom Emir unterstützte Rekordmeister Al-Sadd verstärkte sich mit Romário, Frank Lebœef, Carlos Ténorio sowie Abedi Pele.

Während sich die Q-League ins vom »World Soccer« als »Middle East Eldorado« bezeichnete Schlaraffenland verwandelte, in dem die genannten Superstars für ein jährliches Salär in Höhe von umgerechnet 2,3 Mio. Euro vor einer Handvoll Neugieriger und bei Außentemperaturen von vierzig und mehr Grad gegen den Ball treten, bereitete die »Al-Annabi« (»die Weinroten«) genannte Nationalauswahl Sorgen. Nur 1998 durfte Katar von der WM-Qualifikation träumen, ansonsten sorgten ständige Trainerwechsel und wenig konstante Leistungen für Frust und Enttäuschung. Manchmal ist Geld eben doch nicht alles – zumal es bekanntlich auch »satt« machen und den Ehrgeiz trüben kann. Andererseits heißt es natürlich auch wieder »Geld regiert die Welt« – insofern werden sich die katarischen WM-Träume eines nicht allzu fernen Tages ja vielleicht erfüllen.