Samstag, 9. Juli 2011

Aus aktuellem Anlass: Fußball im Sudan

Der Sudan ist ist seit heute geteilt. In Juba wird die neue Republik Südsudan gefeiert. Was das für den Fußball heißt, ist noch offen. Leistungsfußball im Sudan wurde bislang vom Norden dominiert. Vor allem Al-Hilal und Al-Mereikh aus Omdurman, das gemeinsam mit Khartum die Kapitale der alten Republik Sudan bildete, dominierten. Im Süden wird natürlich auch gegen den Ball getreten, und es dürfte spannend werden, die Aufbaubemühungen eines Nationalverbandes sowie des landesweiten Ligaspielbetriebes zu beobachten. Voraussetzung allerdings: es muss friedlich bleiben. Und diesbezüglich...

Zur Geschichte des Fußball im Sudan nachstehend ein Auszug aus aus dem zweiten Band meiner Weltfußballenzyklopädie.

Die Begrüßung auf dem Kontinent fiel geradezu überschwänglich aus, als Sudan im Januar 2008 erstmals seit 32 Jahren wieder bei einem Endturnier der Afrikameisterschaft auflief. Diese Euphorie durfte nicht überraschen, denn der fast fünf Jahrzehnte in einem erbitterten Bürgerkrieg verstrickte Sudan war nicht irgendein Land – sondern einer der entscheidenden Geburtshelfer des Fußballs im sich entkolonialisierenden Afrika.
Sudans Verbandsführung hatte 1956 gemeinsam mit der Äthiopiens, Ägyptens und Südafrikas die Weichen für die Gründung des Kontinentalverbandes CAF gestellt und 1957 die erste Afrikameisterschaft ausgerichtet. Sportlich zählte die sudanesische Auswahl lange zum Besten, was Afrika zu bieten hatte. Ihren Höhepunkt erreichte sie 1970 mit dem Gewinn der Afrikameisterschaft sowie der Teilnahme am olympischen Fußballturnier 1972. Vier Jahre später reiste die Landesauswahl zum vorerst letzten Mal zu einer Afrikameisterschaft, ehe Sudans Fußball von den Folgen eines bereits seit 1955 mit Unterbrechungen tobenden Bürgerkriegs auf eine rasante Talfahrt gezogen wurde.

Mit etwa 600 ethnischen Gruppen und über 100 Sprachen ist Sudan ein kulturell ungeheuer vielfältiges Land. »Bilad al-Sudan«, »Land der Schwarzen«, nannten die Araber den flächenmäßig größten Staat Afrikas, in dem das muslimische Nordafrika und das animistische bzw. von Missionaren christianisierte Schwarzafrika verschmelzen.

Dominierende Kraft war über Jahrhunderte der große Nachbar Ägypten, dessen Einfluss vor allem im Norden (dem historischen Nubien) hoch war. Der Süden geriet 1839 ebenfalls unter muslimische Kontrolle, die sich in Gewalt, Ausplünderung und Sklaverei ausdrückte und zu einer tief verwurzelten Abneigung gegenüber dem Norden führte. Das im Westen an der Grenze zum Tschad gelegene islamische Sultanat von Darfur indes widersetzte sich der Arabisierung und büßte seine Unabhängigkeit erst 1916 ein.

Mit dem Vordringen europäischer Kolonialmächte geriet die Region in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter die britische Krone und wurde 1899 zu einem anglo-ägyptischen Kondominium, das de facto eine britische Kolonie war. Durch die wirtschaftliche und politische Bevorteilung des Nordens gegenüber dem Süden verschlechterte sich das ohnehin angespannte Binnenverhältnis weiter. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Sudan geteilt, woraufhin beide Hälften eine Phase der friedlichen Koexistenz verlebten.

Als Sudan am 1. Januar 1956 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, kamen beide Seiten in einem zentralistischen Nationalstaat wieder zusammen. Da die entsprechenden Bestrebungen jedoch vom Norden ausgegangen waren (dort liegt auch die Hauptstadt Khartoum), traf dies im Süden auf Widerstand und hatte bereits im August 1955 zu einem bewaffneten Aufstand geführt, der sich zum Bürgerkrieg ausweitete. Nachdem es im Februar 1972 endlich gelungen war, einen Waffenstillstand zu schließen, explodierten die Spannungen 1983 erneut in Gewalt. Auslöser waren im Südsudan entdeckte Erdölvorräte, die unter Missachtung der südsudanesischen Autonomie vom Norden ausgebeutet wurden, sowie die Ausweitung der islamischen Scharia-Gesetzgebung auf den christlich-animistischen Süden durch die Khartoumer Regierung.

Nach weiteren 22 Bürgerkriegsjahren konnte im Januar 2005 schließlich erneut ein Friedensabkommen erzielt werden. Nicht betroffen ist davon allerdings die westliche Provinz Darfur, in der seit 2003 ebenfalls ein Bürgerkrieg tobt.

Wie in fast allen Lebensbereichen dominiert der Nordsudan auch im Fußball. Die Hauptstadt Khartoum sowie das auf der gegenüberliegenden Nil-Seite gelegene religiöse Zentrum Omdurman haben die Geschicke des nationalen Fußballs über weite Strecken beherrscht. Seit 1962 ging die Landesmeisterschaft nur ein einziges Mal nicht in das 5,6 Mio.-Einwohner starke wirtschaftliche, kulturelle und politische Herz Sudans – 1992 durfte man in der Hafenstadt Port Sudan jubeln.

Über die Anfänge des Spiels im Sudan gibt es widersprüchliche Angaben. Türken und Araber hätten das Spiel Anfang der 1920er Jahre nach Khartoum gebracht, berichten einige Quellen. Andere – glaubhaftere – wiederum behaupten, Briten seien die Importeure gewesen und hätten die Einheimischen ermuntert, das Spiel aufzugreifen. Demzufolge seien bereits 1898 britische Soldaten am Ball gewesen, ehe das Spiel nach der Jahrhundertwende über britische Bildungseinrichtungen wie das Gordon Memorial College unter jungen Sudanesen verbreitet wurde.

1918 wurde der Gouverneurspokal aus der Taufe gehoben, an dem neben Teams aus Khartoum und Omdurman auch Mannschaften aus dem Eisenbahnknotenpunkt Atbara sowie der Baumwollhochburg Wad Medani teilnahmen. Mehrere Duelle zwischen einheimischen Teams und Mannschaften der britischen Kolonialverwaltung stärkten unterdessen die Popularität des Fußballs unter den Einheimischen, wenngleich die Briten an ihrer Führungsrolle festhielten. 1936 riefen sie sogar einen Khartoumer Stadtverband ins Leben, auf dessen Wurzeln sich der heutige Nationalverband beruft.

Im Verlauf der 1920er Jahre formierte sich eine einheimische Vereinsstruktur. Nach informellen Teams wie Burri (ein Stadtviertel von Khartoum), Abbas (eine namhafte Persönlichkeit) und Hay Alisbtaliya (ein Stadtviertel in Omdurman) entstand 1927 im Omdurmaner Stadtviertel Al-Masalma der heutige Spitzenklub Al-Merreikh, dem noch im selben Jahr mit Al-Mourada eine weitere spätere Größe folgte. Im Februar 1930 riefen Studenten mit Al-Hilal Omdurman schließlich den heutigen Rekordmeister ins Leben. Das Duell zwischen Al-Hilal und Al-Merreikh avancierte binnen kurzem zum Klassiker, der Sudans Fußball bis heute beherrscht.

1928 war zudem in Wad Medani mit Al-Ahli ein Verein gegründet worden. Federführend waren nahezu ausnahmslos Mitglieder der den Briten nahestehenden gebildeten Oberschicht aus dem Norden. Mitte der 1930er Jahre schließlich entstand im ehemaligen Waffenlager »Khalifa« ein Sportfeld, das den Namen »Arsenal Stadium« erhielt. Aufgrund der klimatischen Bedingungen dauerte ein Spiel im Wüstenland Sudan seinerzeit im Übrigen nur 60 Minuten.

Mit der Unabhängigkeitserklärung vom 1. Januar 1956 avancierte Sudan zu einer der progressivsten Fußballkräfte im postkolonialen Afrika. Bereits 1948 hatte sich der Nationalverband Sudan Football Association (SFA) der FIFA angeschlossen, woraufhin die Führung des Nationalverbandes 1951 von britische in sudanesische Hände gewechselt war. Gemeinsam mit seinem ägyptischen Kollegen war Sudans Verbandschef Halim Mohamed Halim, ein renommierter Doktor und führendes Mitglied der Regierungspartei, 1954 als Vertreter Afrikas zur WM in die Schweiz gereist. Zwei Jahre später war er federführend daran beteiligt, dass der afrikanische Kontinentalverband CAF aus der Taufe gehoben werden konnte.

Nachdem die 1957 in Kairo geplante erste Afrikameisterschaft den politischen Spannungen zwischen Ägypten und Israel zum Opfer gefallen waren, fungierte die sudanesische Hauptstadt Khartoum als Ersatzgastgeber. Sudans Landesauswahl »Sokoor Al-Jediane« (»Wüstenadler«), die im November 1956 mit einem 1:2 in Äthiopien debütierte, musste sich nach einer 1:2-Halbfinalniederlage gegen Ägypten allerdings vorzeitig verabschieden.

Unterdessen entstanden landesweit sieben regionale Fußball-Ligen (Khartoum, Gezira, Nord, Ost, Kordofan, Süd und Darfur), deren Sieger 1962 erstmals einen Landesmeister ermittelten. Die Fußballbegeisterung war vor allem in Khartoum und Omdurman enorm. Kulissen von bis zu 10.000 Zuschauern waren dort keine Seltenheit, weshalb im Verlauf der 1960er Jahre sowohl Al-Mourada (1962) als auch Al-Merreikh (1964) sowie Al-Hilal (1969) eigene Großstadien errichteten. Die mit Abstand erfolgreichsten Mannschaften sind die Omdurmaner Rivalen Al-Hilal (24 Titel) und Al-Merreikh (17), deren lokale Hegemonie lediglich 1968 von Al-Mourada Omdurman und 1969 von Burri Khartoum gestört wurde.

Gastspiele renommierter Mannschaften wie der Nationalelf von Ungarn, Vienna Wien und einer jugoslawischen Auswahl fachten das Fußballfieber zusätzlich an. Der Süden hinkte der Entwicklung aufgrund der deutlich schwächeren Verankerung des Spiels sowie des Bürgerkrieges allerdings weit hinterher. Dort wurde lediglich in der Provinzhauptstadt Juba seinerzeit gekickt.

Sportlich zählte Sudan seinerzeit zum Besten, was Afrika zu bieten hatte. Daran hatten europäische Trainer wie die Tschechen Jiří Starosta, Vladimir Čermak, Jan Fábera und Jaroslav Simonek sowie der Bulgare Kocev großen Anteil, die den technisch hochbegabten Sudanesen osteuropäische Spielsysteme wie das tschechische »ulička« (»Gässchen«) beibrachten. Al-Hilal-Coach Jiří Starosta, der 1959 auch die Nationalmannschaft übernommen hatte, führte sie bei der zweiten Afrikameisterschaft in Ägypten prompt bis ins Finale, das allerdings mit 1:2 gegen den Gastgeber verloren ging. Leistungsträger wie Torjäger Djaksa Nasreldeen, Mittelläufer Amin Zaki oder Torsteher Sabbit Dudu erfreuten sich dennoch weit über die Landesgrenzen hinausgehenden Ruhms und erreichten 1963 bei der dritten Afrikameisterschaft abermals das Finale (0:3 gegen Gastgeber Ghana).

Seinen Höhepunkt erreichte der sudanesische Fußball in den 1970er Jahren. Vorausgegangen war ein politischer Wechsel. 1969 hatte eine sozialistisch ausgerichtete Militärjunta die Führung übernommen und wollte Sudan sowohl internationales Renommee verschaffen als auch die Idee des Panarabismus fördern. Fußballverbandspräsident Abdel Halim Mohamed, der im Januar 1968 auch zum Präsidenten des Kontinentalverbands CAF gewählt worden war, schlug daraufhin die Bewerbung für die Afrikameisterschaft 1970 vor.

Nach dem Rückzug des eigentlichen Gastgebers Ägypten vergab die CAF das siebte Kontinentalturnier tatsächlich an die Sudanesen, die daraufhin in Khartoum und Wad Medani geeignete Spielstätten schufen. Die Militärs trugen freilich nicht nur Sorge, dass in organisatorischer Hinsicht alles klappte, sondern griffen auch in den sportlichen Verlauf ein. Vor allem das Halbfinale gegen Ägypten geriet zum Skandalspiel, weil der algerische Unparteiische Ahmed Khalifi zahlreiche Regelverstöße der Sudanesen durchgehen ließ und damit ihren 2:1-Verlängerungssieg begünstigte. Im Finale gegen Ghana benachteiligte dann der äthiopische Schiedsrichter Tesfaye Gebreyesus Ghanas »Black Stars« nach allen Regeln der Kunst, und die von Kapitän Amin Zaki angeführte Gastgeberelf konnte mit einem 1:0-Sieg (El-Issed, 12. Minute) Afrikameister werden.

Zwei Jahre später bestätigten die »Sokoor Al-Jediane« mit ihrer Qualifikation zu den Olympischen Spielen, dass sie durchaus auch mit sportlichen Mitteln zum Erfolg kommen konnten. In München blieb die Elf gegen die Sowjetunion (1:2), Mexiko (0:1) und Burma (0:2) allerdings ohne Punktgewinn.

Im selben Jahr gelang es, den Bürgerkrieg im Südsudan zu beenden und das Land zu befrieden. Doch es war nur eine Atempause, denn 1983 brachen die Kämpfe erneut auf, und mehr als 3,5 Mio. Menschen wurden zu Flüchtlingen. Zu den Kampfhandlungen gesellte sich eine humanitäre Katastrophe, da die Lebensmittelversorgung im Südsudan völlig zusammenbrach. Erst 2005 konnte ein Friedensabkommen geschlossen werden, das dem Südsudan Autonomie gewährt und ein Referendum über seine Unabhängigkeit für 2011 vorsieht.

Der ohnehin auf den Norden konzentrierte nationale Spitzenfußball blieb von dem Kon­flikt weitestgehend unbehelligt. 1987 erreichte mit Al-Hilal Omdurman sogar erstmals ein sudanesischer Klub das Finale um die Kontinentalmeisterschaft, in dem die Blau-Weißen an Al-Ahly Kairo scheiterten. Zwei Jahre später machte es Lokalrivale Al-Merreikh im Pokalsiegerwettbewerb besser und setzte sich im Endspiel gegen Bendel United aus Nigeria durch. 1992 erreichte Al-Hilal abermals das Finale um die Kontinentalmeisterschaft, musste sich aber auch diesmal seinem Gegner (WAC Casablanca) beugen.

Sudans »Sokoor Al-Jediane« büßten ihre kontinentale Führungsrolle unterdessen ein. Das hatte nur teilweise sportliche Ursachen, denn zwischen 1978 und 2000 mussten sie gleich fünfmal aus finanziellen oder organisatorischen Gründen auf die Teilnahme an der Afrikameisterschaft verzichten bzw. sich aus der laufenden Qualifikation zurückziehen. Größter Moment war die Qualifikation der von Ahmed Babiker trainierten U17-Auswahl zur WM 1991 in Italien. Die von Saad Dabibah betreuten Senioren scheiterten derweil in der Qualifikation zur Afrikameisterschaft 1992 denkbar knapp am Torverhältnis an Kenia.

Erst nach dem Ende des Bürgerkriegs im Süden konnte die Landesauswahl auf die internationale Bühne zurückkehren. 2007 sicherte sie sich den prestigeträchtigen CECAFA-Cup, ehe sie 2008 unter Trainer Mohammed Abddallah zum ersten Mal seit 32 Jahren wieder die Endrunde um die Afrikameisterschaft erreichte. Nach dem entscheidenden 2:0 auf den Seychellen wurde das Team um Torjäger Faisal Al-Agab und die Verteidiger Khalid Hassan Ali sowie Richard Gastin Lado von begeisterten Fans auf dem Flughafen von Khartoum empfangen. »Dies ist nicht nur ein Erfolg für die Mannschaft, sondern für alle Sudanesen«, jubelte Verteidiger Ali ergriffen. Beim Endturnier in Ghana vermochten die als einzige Mannschaft des Turniers ohne Legionäre auflaufenden Sudanesen das Vorrundenaus allerdings trotz ansprechender Leistungen nicht zu verhindern.

Die Renaissance der Auswahl war flankiert von außergewöhnlichen Erfolgen auf Vereinsebene. 2007 scheiterte Al-Merreikh unter dem deutschen Trainer Otto Pfister im Finale um den CAF Confederations Cup (Afrikas UEFA-Cup) unglücklich an Tunesiens Spitzenklub CS Sfaxien, während Lokalrivale Al-Hilal in der Champions League bis unter die letzten vier vordrang. Beide Klubs stellten das Gros der erfolgreichen Nationalelf und sind auch die wirtschaftlichen Zugpferde des vom Ölreichtum profitierenden sudanesischen Fußballs. Pfister äußerte im Januar 2008 gegenüber dem »Hamburger Abendblatt«: Ich habe vor meinem Engagement in Kamerun im Sudan den Spitzenklub Al-Merreikh Omdurman trainiert. Dort verdient der Topstar im Jahr bis zu 600.000 Dollar netto. Das wären in Deutschland fast eine Million Euro brutto. Ein durchschnittlicher Spieler erhält bis zu 200.000 Dollar.« Keine Frage: Afrikas Fußballpionier ist zurück!

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