Freitag, 31. Januar 2014

Alle Tassen im Schrank? TSV München 1860


Manchmal habe ich hier in der „Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne“ Vereine, zu denen selbst mir nicht so wahnsinnig viel einfällt und ich erstmal das www durchstöbern muss, um eine Geschichte zu finden, die ich Euch erzählen möchte.

Und manchmal habe ich Vereine, über die könnte man Bücher schreiben. Zum TSV München 1860 habe ich das gemeinsam mit dem geschätzten Kollegen Claus Melchior ja auch schon getan, denn die Geschichte der Löwen ist in vielfacher Hinsicht eine spannende und außergewöhnliche. Ein uralter Turnverein aus vorrevolutionären Zeiten (1860 erfolgte bereits die ZWEITE Gründung!), der ausgerechnet in den 1920er Jahren im Fußball erstmals Furore macht, während sich Turner und Sportler heillos zerstritten über Kreuz lagen. Dass der TSV 1860 deshalb 1924 in den TV 1860 und den SV 1860 zerbrach, weiß dennoch kaum jemand, zumal es im Alltag damals wohl auch kaum spürbar war. 1934 kamen die beiden Fraktionen wieder unter dem Dach des TSV 1860 zusammen, nachdem die Nazis den Turner-/Sportstreit mit rigider Hand „gelöst“ hatten.

1860 war zuvor trotz seiner Fußballheimat Giesing mit fliegenden Fahnen der neuen politischen Bewegung um den Wiener Postkartenmaler gefolgt und profitierte dadurch u.a. durch den Verkauf des Stadions an der Grünwalder Straße, der den Verein wohl vor dem Ruin rettete. Unterdessen litt, auch das muss an dieser Stelle gesagt werden, Lokalrivale FC Bayern unter Ächtung, weil er sich von seiner Gründung an offen für alle Kulturen und Denkrichtungen gegeben hatte und ihm ein jüdischer Präsident vorsaß.

Sportlich waren es erfolgreiche Tage. Unter Trainer Max Breunig hatte 1860 den deutschen Fußball regelrecht revolutioniert und war mit tollem Kombinationsspiel 1931 bis ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft vorgedrungen, wo es eine skandalumwitterte 2:3-Niederlage gegen die Hertha gegeben hatte. 1942 glückte dann der Pokalsieg mit dem Wunderstürmer Willimowski.

Dass ausgerechnet die „Sechziger“ die erfolgreichste Epoche der „Sechz’ger“ wurden, hat mich immer wieder verblüfft. Pokalsieg 1964, Deutsche Meisterschaft 1966, Endspiel Europapokal der Pokalsieger 1965 – damals war München blau und nicht rot. Doch was Max Merkel aufgebaut hatte, zerstörte er mit seiner unnachgiebigen Art auch gleich wieder, während an der Säbener Straße ein Team heranwuchs, das die Fußballhierarchie in München vermutlich für immer zementierte.

1975 stand ich dann das erste Mal an der Grünwalder und schaute dem Pokalspiel zwischen dem TSV 1860 und Göttingen 05, damals 2. Bundesliga Nord, zu. Wir verloren 1:2, und die Anreise per Bus schien mir unendlich zu dauern. Doch zugleich verguckte ich mich irgendwie in diesen Klub und dieses rumpelige Stadion, in dem man regelrecht fühlen konnte, was da früher einmal los gewesen war. Die Bayernligajahre verfolgte ich mit bewunderndem Interesse aus der Ferne und freute mich über jeden Schnipsel, den es montagabends auf Bayern 3 zu sehen gab Dann wechselte auch noch 05-Stürmer Bernd Krech hinunter zu den Löwen (verpasste aber den Durchbruch und kehrte bald nach Göttingen zurück), ehe sogar mein Lieblingslinksaußen Kurt Pinkall ebenfalls das Löwen-Jersey überstreifte.

1997 nahm ich mir die Löwen-Geschichte gemeinsam mit Claus Melchior erstmals als Fußball-Historiker vor. Drei Wochen verbrachte ich damals in München, sah 1860 daheim gegen Werder den UEFA-Cup verpassen und wühlte mich durch die Bestände in den verschiedenen Archiven. Und entdeckte einen Verein mit nicht nur einer unvergleichlich spannenden Geschichte sondern vor allem einer lebhaften Gegenwart. In Unterhaching traf ich mich mit Machern der Initiative pro Grünwalder, diverse Gespräche mit Fans unterschiedlicher Einstellung halfen mir, die Faszination 1860 zu verstehen und ein frischer Besuch in Giesing belebte meine Gefühle für den Klub.

Dass man es als 1860-Fan nicht leicht hat, weiß ich nicht zuletzt von meinem Kompagnon Claus Melchior, der dereinst eine Dauerkarte auf Lebenszeit erwarb. Die Stadionfrage brannte und brennt unter den Nägeln, die Verbindung zum Gönner aus dem arabischen Raum, die frustrierende Zweitklassigkeit, die Abwendung einiger Fans nach dem Auszug aus dem Grünwalder – als Löwen-Fan gibt es viele kontroverse Themen zu diskutieren. Und doch sind es Schicksalsschläge wie jene, die der TSV 1860 in seiner Vergangenheit hat erleiden müssen, die aus einem Klub einen Mythos machen.

Und wer nun auf das zuletzt 2012 in komplett überarbeiteter und aktuaklisierter Fassung erschienene Buch von Claus und mir über die Löwen neugierig geworden ist, der wird hier fündig: http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node%2F497

Donnerstag, 30. Januar 2014

Insolvenzticker: Hereford United

Nur ganz kurz als Meldung mit einem Link zur englischsprachigen BBC-Seite: Hereford United hat seinen für Montag erwarteten Insolvenzantrag überraschend nun doch nicht stellen müssen. Ausstehende Gelder aus dem Herbst konnten bezahlt werden, beim Heimspiel am Wochenende wurde tüchtig gespendet und an der Edgar Street sieht man zumindest wieder einen klitzekleinen Hoffnungsschimmer.

Alles weitere hier: http://www.bbc.com/sport/0/football/25868431

Alle Tassen im Schrank: Leeds United


Es gibt Vereine, die sind irgendwie vor allem mit einem Spieler verbunden. Leeds United ist so einer, und natürlich ist Billy Bremner der Spieler, den ich meine. Dieser giftige Rotschopf terrorisierte in den 1970er Jahren seine Gegenspieler bis zur Weißglut und spielte dabei stets die Unschuld in Person – eine klassische „Kampfsau“ mit hohem Identifikationspotenzial für die eigenen Farben und auch Fans.

Der eine oder andere wird sich sicher noch an das Europapokalfinale der Landesmeister 1975 erinnern, als der FC Bayern in Paris auf Leeds United traf und sich ganz schön abmühen musste, ehe man die Elf aus Yorkshire bezwungen hatte. Unterdessen demonstrierten die zu Tausenden mitgereisten englischen Fans auf den Straßen von Paris, was man damals in Großbritannien unter „Hooliganism“ verstand und beeindruckte damit selbst hartgesottene Fans aus der vergleichsweise harmlosen Bundesliga.

Leeds war damals der ungekrönte König im englischen Fußball. Zum Erfolg geführt von Don Revie, der das Team in die fitteste Elf der Liga verwandelt und ihm zudem technische Rafinessen beigebracht hatte. Für alles andere war Raubein Bremner zuständig. Die beiden Meisterschaften 1969 und 1974 bescherten den stets in Weiß auflaufenden „Peacocks“ ("Pfauen") Fans im ganzen Land – wie hierzulande Mönchengladbach ist Leeds heute in ganz England vor allem unter der Generation 50+ außerordentlich beliebt.

Nach dem Europapokalfinale von 1975 flachte die Erfolgskurve unter wechselnden Trainern jedoch sichtlich ab (Revie hatte 1974 die Nationalelf übernommen), und aus Leeds wurde ein biederer Erstligist, der 1982 abstieg. Ausgerechnet unter Klubidol Bremner als Trainer drohte dann 1988 gar der Sturz in die Drittklassigkeit, der jedoch verhindert werden konnte. In den frühen 1990er setzte eine neuerliche Erfolgsphase ein, die 1992 zur erneuten Meisterschaft führte (an dieser Stelle muss natürlich ein kleiner Gruß nach Stuttgart kommen ;-)  ) und zu der von 1995-97 auch Anthony Yeboah beisteuerte. 2000 dann der Höhepunkt, als Leeds das Halbfinale im UEFA-Cup erreichte. Die Spiele gegen Galatasaray waren jedoch überschattet von Ausschreitungen, bei denen in Istanbul zwei Leeds-Fans ums Leben kamen.

Ein Jahr später stand Leeds auch im Halbfinale der Champions League, doch weil Präsident Peter Ridsdale finanziell allzu einseitig alles auf eine Karte gesetzt hatte, sollte sich der Erfolg als kontraproduktiv erweisen. Denn weil in der Liga die fest eingeplante erneute Champions-League-Teilnahme verpasst worden war, musste zunächst Leistungsträger Rio Ferdinand und dann das Trainingsgelände verkauft werden. 2007 verschwand der Klub erstmals in der Drittklassigkeit, wo er wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten eine Strafe von 15 Minuspunkten aufgebürdet bekam.

Leeds Pech war mein Glück, denn dadurch kam ich im Herbst 2007 zu einer unvergessenen Reise an die Elland Road. Dort hatte ich 1986 erstmals gestanden und war anschließend u.a. 1992 während der EM bei einigen Spielen anwesend gewesen. Doch nun reiste ich zum Ligaspiel mit "meinen" Bristol Rovers nach Leeds, und das wurde zum unvergessenen Erlebnis. Die Rovers hatten gerade erst die Rückkehr in die 3. Liga perfekt gemacht, und die Euphorie um die Wiedergeburt der Pirates war geradezu gigantisch. Endlich musste man nicht mehr nach Macclesfield oder Rochdale reisen sondern traf wieder auf namhafte Gegner wie eben Leeds United. Ruckzuck war der Gästeblock ausverkauft gewesen, und die mehr als 3.000 Gasheads verbreiteten eine fröhliche und vor allem stolze Stimmung. Am Ende hatten wir zwar alle lange Gesichter, weil Leeds zu einem mehr als schmeichelhaften 1:0-Sieg gekommen war, der Tag blieb mir aber dennoch unvergessen. Und sei es nur durch die abgebildete Tasse, die ich seinerzeit mitbrachte und die mit den beiden Wappen schön Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet. Das "Marching on Together" stammt übrigens aus dem Klublied "Leeds, Leeds, Leeds" von 1972 (http://www.youtube.com/watch?v=DuMyUh26twQ).

Nachdem Leeds 2008 und 2009 jeweils im Play-off am Wiederaufstieg gescheitert war, glückte den "Peacocks" schließlich am 8. Mai 2010 endlich der ersehnte Wiederaufstieg in die Championship (2. Liga). Gegner im entscheidenden Duell waren übrigens ... die Bristol Rovers, die nach ihrer 1:2-Niederlage an der Elland Road respektvoll Beifall klatschten.

Finanziell sieht es an der Elland Road aber unverändert wenig rosig aus, weshalb Leeds seit einiger Zeit hartnäckig mit einem möglichen Engagement von Red Bull verbunden wird. Da dürfte freilich die noch immer recht bärbeißige Fanszene in Yorkshire einiges dagegen haben.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Alle Tassen im Schrank: FC Bayern Hof


Wenn Ihr nicht gerade Fans der SpVgg Bayreuth seid, will ich heute Eure „gefällt mir“ sehen und bin gespannt, ob ihr den FC Bayern Hof in die Top-Ten der „Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne“ bugsieren könnt!

Bayern Hof. Geballte Fußballtradition. Einer dieser früheren Leuchttürme im deutschen Spitzenfußball. Und ein Relikt aus Zeiten, in denen die Fußballwelt noch vermeintlich „heile“ war. Als großer Fußball noch in kleinen Orten möglich war, als in Hof noch der Fußballbär steppte und man in der 45.000-Einwohnerstadt an der früheren innerdeutschen Grenze von der Bundesliga träumte. Dreimal standen die Schwarz-Gelben vom Stadion Grüne Au in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga. 1968 sogar mit meinen Göttingern. Geklappt hat es bekanntlich nicht, doch die Stadt Hof wurde bundesweit bekannt durch ihren Fußballverein.

1910 als FC Britannia gegründet, wurde man 1914 nach Kriegsbeginn zum FC Bayern Hof, der in der Zwischenkriegszeit zu den spielstärksten Teams im Süden aufstieg. Selbst der ruhmreich „Club“ aus Nürnberg zitterte damals vor den Schwarz-Gelben und kassierte 1929/30 gleich zwei Punktspielniederlagen gegen die Hofer. Die größte Epoche der Klubgeschichte aber begann 1959, als der FC Bayern Hof in die Oberliga Süd aufstieg und dort 1961/62 Sechster wurde. Unvergessen der 5:0-Auswärtssieg in jener Saison beim Namensvetter aus München – ja, ja, gemeint ist der FC Bayern München! Mit jenem wurde man 1963 in die Regionalliga Süd eingruppiert, doch während Beckenbauer und Co. 1965 den Klassensprung schafften, verfehlte der FC Bayern Hof um seinen Torjäger „Boby“ Breuer und angeführt von Trainerlegende Heinz Elzner in seinen drei Anläufen 1967, 1968 und 1972 jeweils den Klassensprung.

Hof war damals Garant für gewaltige Zuschauerkulissen und beste Fußballatmosphäre. Am 22. Mai 1968 wohnten 19.100 Augenpaare dem Aufstiegsspiel gegen Rot-Weiss Essen bei – das war fast die Hälfte der gesamten Einwohnerschaft der Stadt! Aber auch bei gewöhnlichen Spielen war die am Ostrand der Stadt in Fabrikvorstadt gelegene Spielstätte stets gut besucht – nicht umsonst hatte die Münchner „Abendzeitung“ schon 1960 von der „fußballfreudigsten Stadt dieses Jahres in der gesamten Bundesrepublik“ geschrieben. 1974 in die 2. Bundesliga Süd aufgenommen, stritten die Schwarz-Gelben 1974/75 monatelang um die Vizemeisterschaft mit, mussten sich am Ende jedoch mit Platz vier zufrieden geben und verloren im weiteren Verlauf der 1970er Jahre den Anschluss. 1978 ging es in Bayernliga, und als es zwei Jahre später gar der Abstieg in die Landesliga folgte, wurde der FC Bayern Hof allmählich zum Mythos.

Zu einem Mythos freilich, der immer mal wieder Lebenszeichen von sich gab. Doch die Träume der treuen Fans auf eine Renaissance ihrer Mannschaft erfüllten sich nicht. Und dennoch blieb das kultige Stadion Grüne Au mit seiner herrlichen Holztribüne und der wuchtigen Gegengerade, die nie fertig gebaut wurde, lange Zeit Publikumsmagnet.

Ab 1994 wieder in der Bayernliga etabliert, geriet der Klub nach seinem erneuten Abstieg in die Landesliga 2004 in eine schwere Krise. 2005 fusionierte der FC Bayern schließlich mit seinem ärgsten Lokalrivalen SpVgg Hof – „Spotzer“ genannt – zur SpVgg Bayern Hof, deren Wappen an den ruhmreichen Vorgänger erinnert. Dass die Vereinsfarben von FC Bayern und SpVgg jeweils Schwarz-Gelb waren, machte die Sache leichter, und auch die Rückkehr in die Bayernliga bereits 2006 tröstete die FC-Bayern-Anhänger über die Fusion hinweg.

Den Bayernligastatus in der Folgezeit mehrfach erst in letzter Sekunde oder gar der Relegation verteidigend ist die SpVgg Bayern Hof nun seit 2012 in der Regionalliga Bayern am Ball und fungiert dort unverändert als Publikumsmagnet. Zugleich ist es einer dieser Klubs, bei dem Fußballtraditionalisten stets leuchtende Augen bekommen.

Und nun will ich Eure „likes“ sehen! (für nur-Blog-Besucher: das bezieht sich auf meine Facebook-Seite www.facebook.com/hardygruene), wo Ihr täglich Eure "Likes" für die Tassen geben könnt. Jeweils Sonntags um 18 Uhr gibt es den aktuellen "Tabellenstand".)

Dienstag, 28. Januar 2014

Neuer Fußballklub in Lüneburg gegründet

In Lüneburg ist ein neuer Fußballklub gegründet worden, der mit großen Ambitionen ausgestattet ist. Sein Name SC Lüneburg erinnert wohl nicht zufällig an den des lokalen Aushängeschildes und Traditionsvereins Lüneburger SK, dessen Zukunft angesichts des anstehenden Abrisses des Wilschenbruch-Stadions etwas in den Sternen steht.

Vereinsgründer war Hans-Otto Jurischka, einst Trainer des VfL Lüneburg. Im Kader steht mit Markus Harms ein früherer LSK-Spieler. Seine Heimstatt bezieht der SCL zunächst in Ochtmissen vor den Toren von Lüneburg. Zwar muss der Klub 2014/15 in der 2. Kreisklasse starten, doch da will man sich nicht lange aufhalten. Dafür garantieren soll u.a. HSV-Profi Maximilian Beister, der den SC Lüneburg unterstützen wird und den Posten des 3. Vorsitzenden übernimmt. Von Beister und Tim Jurischka, Sohn von Klubgründer Hans-Otto Jurischka, soll auch die Idee der Klubgründung ausgegangen sein. Beister hat in seiner Jugend für den VfL Lüneburg gespielt.

Gerüchte, dass weitere LSK-Spieler zu dem Novizen wechseln sollen haben sich bislang noch nicht bestätigt. In Lüneburg sieht man die Gründung des SCL dennoch kritisch.

http://www.luenepost.de/aktuelles/beister-steigt-beim-neuen-sc-lueneburg-ein/

Red Star FC (Paris) - ein besonderer Verein mit einer besonderen Geschichte

Während Paris-SG mit Hilfe katarischer Gönner Europas Fußball zu revolutionieren versucht, kämpft einer der traditionsreichsten Fußballvereine Frankreichs um sein mindestens ebenso traditionsreiches Stadion und findet dabei vielfältige Unterstützung. Kein Wunder, denn der Klub heißt Red Star FC, und dessen Stade Bauer, das sich in der Pariser Vorstadt Saint-Ouen befindet (im benachbarten Saint Denis steht das Stade de France) gehört zum französischen Kulturgut.

Die Geschichte des Red Star FC gehört zu den interessanten im europäischen Fußball. Doch auch die Gegenwart der Grün-Weißen ist spannend und einzigartig. Das zeigt der Wiener Sportjournalist Christoph Heshmatpour, der den Klub während eines Austauschstudiumjahrs in Paris für sich entdeckte und kürzlich eine äußerst lesenswerte Zusammenfassung seiner Erlebnisse vorlegte. Die ist für ganze drei Euro in gedruckter Form zu erwerben und steht online sogar kostenlos zum Download bereit (sowohl download als auch Bezugsadresse der Broschüre hier: http://banlieuerouge.org/).

Auch wenn es keineswegs nur um Fußball geht, sondern Heshmatpor in typisch Wiener Schmäh und lässiger Hipstermanier von den "üblichen" Exzessen eines Austauschjahres berichtet und über die Gentrifizierung des einstigen Schmuddelquartiers Saint Ouen erzählt, verwebt er seine Erlebnisse geschickt mit dem Schicksal des Red Star FC. Ein Klub, der eine besondere Klientel anlockt und mit einem maroden Stadion und überschaubaren Zuschauerzahlen wie ein Überbleibsel aus der alten Fußballwelt anmutet. Absolut lesenswert!

Über viele Zufälle kam ich zudem in Kontakt mit dem in Stuttgart lebenden Joachim Henn, der zu  Beginn der 1990er Jahre in Paris studierte und dabei ebenfalls zum Red-Star-Fan wurde. Exklusiv für den FußballGlobus hat Joachim nun einen längeren Text über den Klub verfasst, der nicht nur alle Fragen beantwortet, sondern der vor allem neugierig macht! Beim nächsten Paris-Besuch also mal den Eifelturm oder Louvre ausfallen lassen und dafür hinaus an die Banlieue Rouge nach Saint Ouen? Bah oui!

Und hier nun Joachim Henns Text:

Red Star 93 FC (Paris)
Glaubt man den Fans, liegt das Epizentrum des Red Star FC bei Akli. „Bei Akli“ ist unter den Eingeweihten so etwas wie eine feste Redewendung und meint die Kneipe des gleichnamigen Algeriers, die direkt auf der anderen Straßenseite des Stadions liegt, das „Olympic“. Das Olympic ist eine jener im Verschwinden begriffenen französischen Eckkneipen, die Brasseries, die man aus den Filmen der Nouvelle Vague der 1960-er Jahre kennt, in denen sich ein nicht unwesentlicher Teil des gesellschaftlichen Leben abspielte. Heute wirken die Brasseries angesichts des Vordringens der Gastronomieketten eher wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, und so ähnlich verhält sich das mit dem Verein selbst. Der Red Star FC, wie er heute heißt, hat seine ruhmreiche Blütezeit lange hinter sich und wie alle sogenannten Traditionsvereine trägt er seine eigene Geschichte stets im Gepäck. Doch keiner, der den Verein liebt, wird diese ernsthaft als Ballast bezeichnen wollen.

Schon seine Gründungsgeschichte hebt ihn im Nachhinein ab aus der Menge der anderen Vereine, die um die Wende zum 20. Jahrhundert gegründet wurden. Denn einer der Gründerväter war ein gewisser Jules Rimet, der etwa drei Dekaden später die Fußballweltmeisterschaft erfinden und über drei Jahrzehnte lang als Präsident dem Weltfußballverband vorstehen sollte. Was die Namensfindung des Vereins anbelangt, streiten sich die Gelehrten. Die Einen sagen, Rimet habe den Kombinationsfußball der Arbeiterklasse zugänglich machen wollen und daher den roten Stern in den Vereinsnamen integriert. Nach der vorherrschenden Meinung jedoch geht die Bezeichnung auf die englische Gouvernante der Rimets zurück, die als Namenspatin für den neu gegründeten Verein ihr Schiffsticket der Reederei Red Star Line gezückt und feierlich „Red Star!“ verkündet haben soll. Wie dem auch sei: Eine Legende war geboren.

Nach der Vereinsgründung im 7. Arrondissement in Paris und einigen Ortswechseln siedelte der Verein 1909 schließlich in St.Ouen an, der Kommune genau auf der anderen Seite der Pariser Stadtautobahn, die gleichzeitig die Stadtgrenze markiert. Mit diesem Umzug ist zweierlei Fundament gelegt. Zum einen hinsichtlich der Verortung: Red Star wird heute nicht als ein Club der Hauptstadt angesehen, wie häufig vermutet wird, sondern als einer der banlieue Parisienne, des Einzugsgebiets. Und das, obwohl im Zuge einer der vielen Namenswechsel das „Paris“ phasenweise sogar als Namenszusatz verankert war. Zum anderen trägt Red Star – von kurzen Unterbrechungen abgesehen – seine Spiele seit 1909 im damals frisch erbauten Stade de Paris in St. Ouen aus, das heute eigentlich nur noch bekannt ist unter dem inoffiziellen Namen Stade Bauer, benannt nach der Straße, die Stadion und Olympic voneinander trennt.

Nicht zuletzt auf die Anfangswirren des organisierten französischen Fußballs mit bis zu drei selbsternannten obersten Ligen ist es zurückzuführen, dass Red Star niemals französischer Meister wurde. Der einzig einheitlich durchgeführte Pokalwettbewerb war bis Anfang der 1930er Jahre der wichtigste nationale, den Red Star in den 1920ern dreimal erringen konnte. Eng verbunden mit diesen Erfolgen sind die ersten emblematischen Red Star-Spieler, insbesondere Pierre Chayriguès. Ihm wird die Erfindung des modernen Torwartspiels, zumindest aber in Frankreich der des Hechtsprungs, der Faustabwehr und des Verlassens der Torlinie zugeschrieben. Der kleingewachsene Keeper lehnte bereits in jungen Jahren ein Profi-Angebot aus England ab, blieb Amateur (wobei gesagt wird, dass er sich diesen Status ansehnlich honorieren ließ) und avancierte zum Nationalspieler. Mit ihm holt Red Star Anfang bis Mitte der 1920er Jahre drei der insgesamt fünf Cupsiege, zu denen 1928 ein weiterer hinzukommt. Bis zur Einführung des Ligabetriebs und der erstmaligen Austragung der Meisterschaft im Jahr 1932 sind die goldenen Jahre jedoch vorüber, der ersten Division gehört Red Star erst ab 1934 an und landet bis zur deutschen Besetzung regelmäßig auf den hinteren Plätzen. Ein weiteres Zwischenhoch bis Ende der 1940er Jahre und insbesondere der fünfte und bis heute letzte Pokalsieg festigt den Status des Mythos Red Star, der in Spurenelementen bis in die Gegenwart fortbesteht: Der Vereinsname jedenfalls hat in Frankreich bis heute eine gewisse Strahlkraft bewahrt. Die Bedeutung des Clubs auf nationaler Ebene bis in die ersten Nachkriegsjahre lässt sich auch an einer Zahl festmachen: Zum 50jährigen Club-Jubiläum 1947 hatte der Red Star Olympique Audonien, wie er damals hieß, nicht weniger als 35 französische und darüber hinaus etliche Auswahlspieler anderer Nationalitäten hervorgebracht. Diesem Nimbus konnte auch eine lange Zeit des Darbens bis Mitte der 1960er Jahre in der Zweitklassigkeit nichts anhaben.

Einhergehend mit dem Niedergang von Racing und Stade Français, den beiden anderen Clubs der Metropolregion, fasst Red Star ab der zweiten Hälfte der 1960er in der Division 1 allmählich Fuß und scheint Anfang der 1970er mit dem neu gegründeten Paris FC sowie dem aus diesem hervorgegangenen Paris St. Germain rivalisieren zu können. Schwergewichte der Beletage des französischen Fußballs wie der langjährige Rechtsaußen von Olympqiue Marseille, der schwedische Nationalspieler Roger Magnusson, genannt „der Zauberer“, später dann das ehemalige Lyoner Angriffsduo Fleury di Nallo und Nestor Combin, der franco-argentinische Goleador, tragen das grün-weiße Trikot, dennoch gelingt es dem Verein nicht, sich dauerhaft in der obersten Spielklasse zu halten. Im Frühjahr 1975 ist das Abenteuer erste Liga beendet, der Wiederaufstieg wird mit einem gewissen Roger Lemerre bei seiner ersten Trainerstation zweimal knapp verpasst, und am Ende steht 1978 der erste Konkurs, einhergehend mit dem Entzug des Profistatus für die nächsten Jahre.

Auch wenn sich der Verein, nach einer x-ten Umbenennung in AS Red Star von der Rückstufung bis in die Viertklassigkeit sportlich relativ schnell erholt, ist dennoch eine Ära beendet. Fortan lebt er im Wesentlichen von seinem Ruf und der ruhmreichen Vergangenheit. Daran kann auch der rasche Wiederaufstieg in die Zweitklassigkeit nichts ändern, zumal der ersehnte Wiederaufstieg in die Eliteklasse in den nochmals vergleichsweise erfolgreichen 1990er Jahren nicht gelingt. Stattdessen verändert eer seine Ausrichtung und wird zu einem in Frankreich kurzzeit renommierten „club formateur“, einem Ausbildungsverein. Dank des Duos Patrice Lecornu und François Gil und unter der Ägide des Chefcoachs Robert Herbin, selbst eine Legende seit seiner Amtszeit als (Spieler-)Trainer bei St. Etienne in deren glorreichen 70-er Jahren, gelingt es, etliche Talente aus der banlieue in die Jugendabteilung zu lotsen, deren Namen noch heute Kenner mit der Zunge schnalzen lassen: Charles Itandje, Alex Song, Abou Diaby, Abdoulaye Mëité, Wagneau Eloi, Diomansy Kamara oder Khalilou Fadiga, um nur eine handvoll zu nennen. Gleichwohl konnte die Seniorenmannschaft nicht von dieser Fülle an Talenten profitieren: Die allermeisten von ihnen wechselten den Verein, noch ehe sie in der ersten Mannschaft von Red Star zu Einsätzen hätten kommen können. Fast zwangsläufig begann um die Jahrtausendwende ein weiterer tiefer Fall, der den Club bis hinunter in die Sechstklassigkeit taumeln ließ, zwischenzeitlich einen weiteren Konkurs und 2004 eine weitere Umbenennung in Red Star FC zur Folge hatte. Unter dieser Bezeichnung firmiert der Verein noch heute und hat sich mittlerweile mühsam wieder in die Drittklassigkeit emporgearbeitet.

Trotz der Tatsache, dass seine größten Erfolge mittlerweile 70 bzw. gar 90 Jahre zurückliegen, gilt Red Star noch immer als Mythos. Dies hängt nicht nur mit den großen Namen und den teilweise spektakulären Pokalauftritten von anno dazumal zusammen, sondern auch mit den in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Skandalen, Skandälchen und sonstigen Kuriositäten, die ihn immer wieder ins Scheinwerferlicht rückten. Vom (angeblich) fürstlich entlohnten Amateurstatus des Nationalkeepers Chayriguès war bereits die Rede, in den 1950ern wurde dem Club im Zeitraum von fünf Jahren gleich zweimal wegen Bestechungsversuchen der Aufstieg in die erste Liga verweigert bzw die Lizenz gleich ganz entzogen. 1967 wiederum, ein Jahr nach dem Abstieg aus der ersten Division, folgte der nächste aus der zweiten, doch eine Fusion mit dem Erstligisten FC Toulouse (!) katapultierte den Red Star Olympique Audonien als frisch gebackenen Red Star FC zurück in die erste Liga. 1968, während der Studentenrevolte und des Ausnahmezustands in Frankreich,  beteiligten sich auch Spieler von Red Star an den Demonstrationen und hissten am Gebäude des französischen Fußballverbands ein Transparent: „Der Fußball den Fußballern!“ Ein Jahr später wiederum gingen die Zuschauer bei einer Partie gegen Rennes auf die Barrikaden bzw. auf den Rasen: Der Abpfiff des Schiedsrichters nach 61 Minuten aufgrund heftigen Schneetreibens, jedoch unmittelbar nach dem Führungstreffer von Red Star, hatte einen Platzsturm zur Folge, der erst nach massivem Polizeieinsatz beendet war. Am Rande des Falls der Berliner Mauer 1990 wiederum brachte sich auch Red Star ins Gespräch, genauer gesagt Jean-Claude Bras, umtriebiger Präsident mit besten Kontakten in den ehemaligen Ostblock. Ihm gelang ein Transfercoup mit der Verpflichtung der beiden sowjetischen Nationalspieler Fjodor Tscherenkov und Sergey Rodionov, die er zusammen mit dem bereits seit einer Saison dem Kader angehörenden US-Auswahlspieler Hugo Perez der Presse präsentierte und „Glasnost in St. Ouen“ ausrief. Rein sportlich fiel das Resultat dieses ungewöhnlichen Mediencoups dagegen eher bescheiden aus.

Immer wieder bekennen sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Fans oder Sympathisanten von Red Star, und weil die Schimäre eines zweiten großen Hauptstadtclubs (die bei genauerer Betrachtung vor allem ein mediales Konstrukt ist) partout nicht Realität werden will, werden regelmäßig etliche bekannte ex-Spieler oder –Trainer für zu besetzende Funktionen oder Positionen mit dem Club in Verbindung gebracht. Wobei nicht immer eindeutig ist, ob sich der eine oder andere nicht des Vereins bedient hat, um selbst wieder ins Gespräch zu kommen. Als da wären: Der PSG-Mitgründer und langjährige -Präsident Francis Borelli, ehemals selbst Spieler bei Red Star, Bernard Tapie, bekanntermaßen unter anderem Präsident von Olympique Marseille, der Europameister von 1984 und langjährige PSG-Kapitän Luis Fernandez, oder zuletzt Raymond Domenech, der als technischer Berater im Gespräch war. Derzeitiger Sportdirektor wiederum ist Steve Marlet, der seit seinem Wolfsburger Gastspiel auch hierzulande noch bekannt sein dürfte und in der eigenen Nachwuchsabteilung seine Karriere begann. Diese Liste ließe sich noch deutlich erweitern. Vor Kurzem soll Gérard Dépardieu, ebenfalls vorgeblicher Fan, auf dem Vereinsgelände (s)einen neuen Film gedreht haben, und im Zuge der letzten Präsidentschaftswahlen gestand auch François Hollande eine jugendliche Schwäche für Red Star. So verschwindet der Club selbst in den sportlich finstersten Stunden nicht aus den Schlagzeilen. Und wenn diese Gefahr doch einmal bestand, dokumentierte er selbst eindrucksvoll, dass er eben kein Verein wie jeder andere ist. So belagerten nationale Fernsehteams das Vereinsgelände, als im April 2006 ein kollektiver Spielerstreik wenige Spieltage vor Saisonende den Traum vom bevorstehenden Aufstieg in die 4. Liga jäh zu beenden drohte. Dabei ging es weder um Prämien noch um Verträge. Vielmehr erklärte der komplette Kader seine Solidarität mit dem Trainer, dem Vereinsurgestein Jean-Luc Girard, der seines Amtes enthoben worden war. Grund für die Entlassung war nicht etwa eine sportliche Durststrecke, sondern ein veritabler Putsch des Coachs gegen das damalige Präsidium mit anhängigem Gerichtsverfahren gewesen, an dessen Ende die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaft bestätigt worden war. Nachdem die Mannschaft nicht umzustimmen war, trat mitten im Aufstiegsrennen also ein A-Jugendteam das Auswärtsspiel in Evreux an und verlor 2:0 – unter den Augen der Streikenden. Doch in St. Ouen sind Happy-Ends nichts Ungewöhnliches. So auch in diesem Fall: Nach einer Mediation und zähen Verhandlungen durfte Girard für die letzten sechs Saisonspiele zurück auf die Trainerbank, sodass nach ebenso vielen Siegen schlussendlich doch noch der Aufstieg gefeiert werden konnte.

Solcherlei Eskapaden und die Tatsache, dass allein in den letzten 40 Jahren ein halbes Dutzend mal der Klassenerhalt (ebenso wie der Wiederaufstieg in die 3. Liga vor knapp drei Jahren) am grünen Tisch nach Ablauf der Saison sichergestellt werden konnte, wecken zwar nach wie vor große Emotionen, gleichzeitig haben solche verrückten Wendungen zu einer gewissen Gelassenheit und auch Sarkasmus oder Lakonie unter den Fans geführt. Es sei denn, es geht ums Stadion. Dann ist Schluss mit lustig. So verfolgt aktuell der Club-Boss und Hauptaktionär Haddad ein Stadion-Neubauprojekt, mit dem er den überwiegenden Teil des Vereinsumfelds gegen sich aufgebracht hat. Eingedenk der Tatsache, dass heute durchschnittlich allenfalls 1500 Unentwegte die Drittligaspiele von Red Star besuchen (die Stammgäste kennen sich quasi alle mit Namen und das seit gefühlten Ewigkeiten), wirken Haddads Pläne einer Arena für eine Kapazität von 20 000 Zuschauern auf einer Industriebrache am Ortsrand ebenso wie die von ihm forcierte PR-Offensive unter Einführung des üblichen Kokolores wie Vereinsmaskottchen und Slogan wie ein mehrfach überdimensioniertes, groteskes Theater. Dass das Stade Bauer zur Erlangung einer Spielerlaubnis für höhere Weihen einer Renovierung bedarf, steht außer Frage. Die Kommune, Eigentümerin des Stadions, ziert sich allerdings noch – nicht zuletzt, da das Stadiongelände äußerst lukratives Bauland darstellt. Doch es regt sich Widerstand gegen Haddads Pläne, denn ein Umzug, so fürchten die Fans, hätte zur Folge, was all die Umbenennungen, Abstürze und Neustarts des Clubs in Liganiederungen nicht vermochten: Das Ende des Vereins einzuläuten, zumindest in seiner jetzigen Gestalt. Wohin die Reise letztlich geht, wird sich auf der politischen Ebene entscheiden. Einstweilen tobt der Kommunalwahlkampf, und die Geneigten diskutieren bei Akli am Tresen, unter all den vergilbten Mannschaftspostern aus längst vergangenen Zeiten.

Joachim Henn

Sonntag, 26. Januar 2014

Insolvenzticker/Alle Tassen im Schrank - Hereford United


Morgen früh werden im englischen Hereford ein paar lokale Fußballfunktionäre ihre Aktentaschen schnappen und zu einem schweren Gang aufbrechen. Hereford United, viele Jahre in der Football League dabei und gegenwärtig in der fünftklassigen Conference am Ball, ist pleite. Eine Millionen Pfund beträgt das Defizit des Klubs, der Monat für Monat weitere 20.000 Pfund Defizit anhäuft. Nachdem sich Verhandlungen mit einem Mobilfunkunternehmen über die Anmietung eines Flutlichtmasten im Stadion Edgar Street als Sendemast zerschlugen und das Finanzamt eine weitere offene Rechnung in Höhe von 36.000 Pfund gestellt hat wird der Gang zum Insolvenzrichter nun wohl unvermeidlich sein.

Die Zukunft für den Klub sieht düster aus. Selbst in der Football League lockten die Bulls zuletzt kaum mehr als 2.000 Fans zu ihren Spielen ins rustikale aber zugleich auch schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäße Stadion Edgar Street. Der vermutliche Insolvenzantrag wird einen massiven Punktabzug nach sich ziehen, was angesichts von bislang erstrittenen 38 Punkten aus 28 Spielen (gestern gab es ein 1:0 daheim gegen Salisbury) zum Absturz in die Abstiegszone führen könnte.

Hereford war in der jüngeren Vergangenheit einer dieser Klubs, die irgendwie zwischen die Stühle fallen. Zu schwach für die Football League, zu stark für Non-League. Und zudem war United ein Klub, der die Probleme beim Abstieg aus der Football League massiv zu spüren bekam. Als es Hereford 2012 erwischte, hatten viele Spieler noch langfristige Verträge, die trotz des Abstiegs weiterliefen – natürlich zu Profiligabezügen. Zwei Drittel des Saisonetats 2012/13 waren daher gebunden, und schon im Herbst stellten sich prompt finanzielle Probleme ein, die nur durch einen guten Auftritt im FA Cup folgenlos blieben. Hinzu kam eine gewisse Ungeduld der Führung, die in dreieinhalb Jahren fünf Trainer verbrauchte und damit viel Geld verbrannte. Im Frühjahr 2013 waren die Kassen erneut leer. Man überstand die Krise, indem vorzeitig verbilligte Saisontickets für 2013/14 verkauft wurden. Doch das Problem wurde damit nur in die Zukunft verschoben und holte die Bulls nun ein. Keine 2.000 Zuschauer kamen bislang zu einem der Heimspiele, und davon besaßen 1.100 eine Dauerkarte, die bereits bezahlt war. Um zu überlebten, bräuchte der Klub durchschnittlich 3.300 Zuschauer – eine illusorische Zahl für Hereford United.

Herefords größte Stunde schlug 1972, als man im FA-Cup Newcastle United ausschaltete (sehr sehenswert: http://www.youtube.com/watch?v=GGKBNyl2DpU) und erstmals in die Football League aufstieg. Schon im ersten Jahr ging es weiter hinauf in die (alte) Third Division, dessen Meister Hereford 1976 wurde, um erstmals in seiner Geschichte in der zweithöchsten Spielklasse mitmischen zu können. Zwei Jahre wurde der Status gehalten, dann ging es zurück in Liga 3 und schließlich 1979 auch in Liga 4.

1997 dann der erste Abstieg aus der Football League, schon damals begründet in wirtschaftlichen Problemen. Zudem ein unvergleichlich dramatischer Abstieg, denn im letzten Spiel standen sich mit Hereford und Brighton and Hove Albion jene beiden Teams an der Edgar Street gegenüber, von denen eines absteigen musste. Brighton traf in allerletzter Sekunde zum Ausgleich und schubste Hereford damit nach 25 Jahren aus dem Profilager.

Erst 2006 gelang im play-off-Finale gegen Halifax die Rückkehr in die Football League, und 2008 kletterten die Bulls sogar noch einmal in die 3. Liga hinauf. Dann kam der erneute Absturz in die Noin-League 2012, der den Bulls diesmal das Genick brechen könnte.

Fußball an der Edgar Street ist nicht nur eine Reise in vergangene Zeiten des Fußballs, sondern auch in die von Hereford. Direkt gegenüber des Stadions liegt der riesige Viehmarkt der Stadt, der Hereford reich und bekannt gemacht hat, und von dem Hereford United auch seinen Spitzenamen „the Bulls“ hat. Doch längst sieht es ökonomisch auch in der Kleinstadt an der walisischen Grenze nicht mehr allzu rosig aus, droht die Stadt, den Anschluss zu verlieren. Irgendwie wie Hereford United, denen ich tüchtig die Daumen drücken, dass sie die Wende schaffen und eines Tages in die Football League zurückkehren. Und das nicht nur, weil meine Bristol Rovers oft genug ziemlich gut ausgesehen haben gegen die Bulls, sondern vor allem, weil ich die ehrliche und leidenschaftliche Atmosphäre an der Edgar Street immer mochte.

Samstag, 25. Januar 2014

Insolvenzticker: TuS Eving-Lindenhorst

Der westfälische Landesligist TuS Eving-Lindenhorst steht im 69. Jahr seines Bestehens vor schweren Zeiten. 2013 nach drei Spielzeiten in der Westfalenliga in die Landesliga abgestiegen, haben die Grün-Weißen aus dem Dortmunder Nordosten eine katastrophale Hinrunde absolviert und stehen sportlich vor dem erneuten Abstieg (in die Bezirksliga).

Schlimmer sind jedoch die finanziellen Probleme des Klubs. Zuschauersorgen im Eckeystadion und mangelnde finanzielle Unterstützung durch Sponsoren haben der Klubführung die Hände gebunden. TuS-Präsident Peter Kowalski teilte nun gegenüber "Reviersport" mit, dass die vereinbarten Gehälter nicht ausgezahlt werden könnten und die Saison notfalls mit Jugendspielern beendet werden müsse. "Reviersport" zitierte den Spieler TuS-Tuna Kayabasi mit den Worten: "Am besten wäre es, wenn die Verantwortlichen die Mannschaft zurückzieht. Der Verein wird sowieso nicht bis zum Saisonende durchhalten".

Der TuS Eving-Lindenhorst enstand nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Fusion zwischen SC Phönix Lindenhorst und Westfalia Eving. Ursprünglich eng mit den Zechen Minister Stein und Hardenberg verbunden, spielte man 1951/52 für ein  Jahr unter Trainer Dettmar Cramer in der alten Landesliga Westfalen. Von 1962 bis 1968 spielten die Grün-Weißen in der Verbandsliga Westfalen und brachten mit Dieter Zorc (Vater von Michael Zorc) einen Amateurnationalspieler hervor. Anschließend pendelte der Klub zwischen Westfalenliga und Landesliga, während Talente wie Michael Zorc, Stefan Klos und Lars Ricken ihm den Ruf einer "Talenteschmiede" einbrachte.

Alle Tassen im Schrank? Elfenbeinküste/Didier Drogba


Langsam steigt ja das sogenannte „WM-Fieber“, wobei das überwiegend jene Menschen ergreift, die sonst mit Fußballfieber nicht so wahnsinnig viel anfangen können und in meinen Augen unter dem Begriff auch etwas völlig anderes verstehen als ich (und vermutlich viele von Euch). Für mich gehört zu Fußball-Fieber jedenfalls nicht „Schland, Schland“-Gegröle, penetrant hupende Autocorso und Fragen wie „für wen spielt denn der Thomas Müller normalerweise im Verein?“. Bei einer WM bin ich irgendwie immer viel weniger Fußballfan als die meisten anderen.

2006 war in Sachen WM-Fieber ja ein besonderes Jahr, und in der Retrospektive haben sich damals auch ein paar grundlegende Dinge in der kollektiven Fankultur verändert. Aber ich will hier gar nicht gesellschaftskritisch werden, ich will eigentlich den für mich größten Fußballer hochleben lassen, den Afrika jemals hervorgebracht hat: Didier Drogba.

Mit Didier Drogba verbindet mich eine ganz besondere Note, denn als ihn noch niemand kannte, durfte ich ihm schon zujubeln und mich über seine Tore freuen. 2002/03 war es, als En Avant Guingamp eine Mannschaft hatte, die zu den stärksten der Klubgeschichte gehörte. Im Tor Zopfträger Ronan Le Crom, in der Abwehr der langjährige Nantais und Argentinier Nestor Fabbri, im Mittelfeld der ewige Bretone „Coco“ Michel und im Sturm, eigentlich aus heutiger Sicht unfassbar, das Duo Didier Drogba und Florent Malouda. Ein echtes "Dreamteam".

Nach einer großartigen Hinrunde brachen die Guingampais damals zu Beginn der Rückrunde jedoch ein und fielen mit zehn Niederlagen in Folge aus der oberen Tabellenhälfte. Danach lief es plötzlich wieder, und das Team gewann erneut Spiel um Spiel. Zur Schlussphase der Saison reiste ich die Bretagne, denn da stand neben zwei Heimspielen gegen Lens und Monaco noch ein Auswärtskick in Nantes an. Es wurden die traumhaftesten Fußballwochen als Guingamp-Fan. 1:0 gegen Lens, ein unglaubliches 4:0 in Nantes und dann ein 3:1 im ausverkauften Stade Roudourou gegen Titelanwärter Monaco – Guingamp marschierte mit Riesenschritten in Richtung UEFA-Cup. Und Drogba schoss die Tore. Auf dem Rückweg nach Deutschland machte ich schließlich noch einen kleinen „Schlenker“ über Lyon, wo die Guingampais ihr letztes Saisonspiel zu bestreiten hatten. Und ein weiteres Feuerwerk der Fußballkunst abbrannten: 4:1 stand am Ende für den Dorfklub aus der Bretagne, was Lyons Meisterfeier schon ein wenig trübte, während Guingamp sich tatsächlich für den UEFA-Cup qualifizierte.

Nie werde ich vergessen, wie Didier Drogba nach dem Spiel alleine mit einer bretonischen Fahne vor dem Gästeblock stand und ihm gehuldigt wurde. Denn er ging zur nächsten Saison nach Marseille – finanziell konnte Guingamp eben mit den Großen im Lande doch nicht mithalten. Ein Jahr später fuhr ich wieder zum letzten Saisonspiel der Guingampais. Das fand ausgerechnet in Marseille statt, und Guingamp brauchte mindestens einen Punkt. Marseille gewann, Guingamp stieg ab. Und wieder stand Didier Drogba nach dem Schlusspfiff vor dem Gästeblock … und hatte Tränen in den Augen. Ungelogen!

Nach diesem kleinen“ Umweg“ nun endlich zu der abgebildeten Tasse. Die gelangte im Vorfeld der WM 2006 in meine Sammlung, als ich auf dem Rückweg von Südfrankreich in Vittel vorbeischaute, wo das Team der Elfenbeinküste ihr Trainingslager aufgeschlagen hatte. Natürlich trug ich das Trikot von En Avant, und als Drogba mich vor dem Stadion erblickte, kam er mit leuchtenden Augen auf mich zu und grinste mich mit einem herzlichen „Ah, les Guingampais“ an. Ein kurzer Schnack, dann verschwand er zum Training. Und ich war leicht verstört. Normalerweise bringt mich ein Fußballstar nicht aus dem Konzept, da bin ich ziemlich resistent. Drogba aber schaffte es mit seiner Herzlichkeit, seiner Bodenständigkeit und seiner ihm völlig abgehenden Starattitüde. Ich war nie zuvor „Fan“ eines Spielers gewesen. Seit Didier Drogba bin ich es.

2008 traf ich ihn bei der Afrikameisterschaft in Ghana wieder und musste mit ansehen, wie er mit der Elfenbeinküste zum wiederholten Male unglücklich scheiterte. An Ägypten, in Kumasi. Seine traurigen Augen auf der Pressekonferenz werde ich nie vergessen. Aber auch nicht das kurze Leuchten in seinen Augen, als er mich mitten in der Journalistenschar sah. Ich trug nämlich wieder das rote Trikot von En Avant Guingamp. Wie sehr Drogba noch immer mit den Guingampais verbunden ist, zeigen auch seine Teilnahme an der 100-Jahr-Feier des Klubs 2012 und seine Video-Grußbotschaft nach der Rückkehr in die 1. Liga im Sommer 2013.

Et mainenant, il faut chanter: „Diiiidjääää Drog-ba allez allez allez – allez, allez, allez – allez, allez, allez“

(und hier noch eine nette TV-Doku von damals über Guingamp, En Avant und Didier Drogba: http://www.youtube.com/watch?v=VBdRUOINDpE)

Freitag, 24. Januar 2014

Alle Tassen im Schrank? Erzgebirge Aue


Das Erzgebirgsstadion in Aue gehört zweifelsohne zu den schönsten Fußballstätten der Republik und ist in meinen Augen zudem die am idyllischsten gelegene Profiarena im Lande. Auf die Tasse hätte man das Areal aber dennoch nicht gleich pinseln müssen – ich mag eigentlich eher schlichte und sachlich gehaltene Kaffeegefäße, die es bei meinem letzten Besuch in Aue allerdings nicht gab.

Aue ist seit 2011 Partnerstadt von Guingamp, und ich sehe viele Ähnlichkeiten und Verbindungen zwischen den beiden Gemeinden. Beide sind klein und werden von ihren lokalen Fußballvereinen beherrscht, die es bis in die nationale Elite geschafft haben. Beide liegen ein wenig „abseits“ und werden bevölkert von Menschen, denen eine gewisse Eigenart nachgesagt werden – in Guingamp sind es die Nordbretonen, die sich gerne mal weigern, Französisch zu parlieren, in Aue sind es die Erzgebirgler, die allein durch ihre Historie als Kumpelstadt eine besondere Aura umgibt.

So auch im Fußball, wo die Urzelle BSG Wismut Aue es 1951 bis in die DDR-Oberliga brachte, der man bis 1990 ohne Unterbrechung angehörte. Das schaffte in der DDR sonst kein anders Team! Kurios die 1954 erfolgte Umbenennung in SC Wismut Karl-Marx-Stadt. Eigentlich sollte die Mannschaft ins 40 Kilometer entfernte Chemnitz, das nun Karl-Marx-Stadt hieß, umziehen. Doch da machten die Auer Wismut-Kumpel nicht mit, und mit ihnen anlegen wollte man sich in der Sportführung offenbar auch nicht. Also wurde „nur“ der Ortsname getauscht, spielte fortan der SC Wismut Karl-Marx-Stadt in Aue. Egal war es den Kumpel damals sicher nicht, aber irgendwie hatten sie einen beachtlichen Teilsieg errungen, und die drei DDR-Meisterschaften 1956, 1957 und 1959 trösten sicherlich auch ein bisschen.

Ab 1963 hieß es dann wieder Wismut Aue, und auch wenn die Erzgebirgler als BSG fortan im Schatten der bevorzugten Sportclubs bzw. Fußballclubs standen, gehörten sie bis zur Wende zur Stammbesetzung der Oberliga. Für mich beeindruckend die Bilder von vielen legendären Spielen in Aue, auf denen von Menschen schwarze Ränge zu sehen sind und bei denen eine unglaubliche Stimmung geherrscht haben muss. Unvergessen natürlich auch der kultige Fanslogan „Zwei gekreuzte Hämmer, und ein große W, das ist Wismut Aue, unsre BSG“!

Dass die Veilchen ausgerechnet in der vorletzten Oberligasaison erstmals absteigen mussten und damit keine Chance hatten, 1991 in eine der beiden gesamtdeutschen Bundesligen aufgenommen zu werden, ist dann schon fast als tragisch zu bezeichnen. Umso erfreulicher, dass es der FC Erzgebirge ab 2003 unter dem unvergleichlichen Gerd Schädlich schaffte, zu einer der raren Positiventwicklungen im Fußballbereich der früheren DDR zu avancieren und sich in der 2. Bundesliga zu etablieren. Noch bemerkenswerter finde ich, dass es der Klub über weite Strecken geschafft hat, mit solider Arbeit, bodenständigem Denken und bescheidenen Ansprüchen zu einem echten Vorbild aufzusteigen, was angesichts der Schicksale benachbarter Klubs wie Zwickau oder Dynamo Dresden eine herausragende Leistung ist.

Aue zeigt, was mit Gemeinschaftsgeist und Bodenhaftung zu erreichen ist. Fehlt eigentlich nur eine erneute Europapokalteilnahme, und da würde ich mir dann ein Duell „Kumpel gegen Paysans“, also Erzgebirge Aue gegen En Avant Guingamp wünschen. Und vielleicht führt der Auer Klubshop dann ja auch etwas hübschere Tassen.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Insolvenzticker: Hereford United

Beim angeschlagenen englischen Fünftligisten Hereford United hat sich die finanzielle Schieflage weiter verschärft. Der mit rund einer Mio. Pfund Schulden belastete Klub häuft gegenwärtig jeden Monat ein Minus von weiteren etwa 20.000 Pfund an. Nachdem gestern eine neuerliche Schuldennote seitens des Finanzamtes in Höhe von 36.500 Pfund beim Klub eingegangen ist, wird nun für Montag ein Insolvenzantrag erwartet. Zuvor war ein angestrebter Deal mit einer Telefongesellschaft (http://www.bbc.com/sport/0/football/25784885) nicht zustande gekommen.

Über die Hintergründe und Entwicklung der Situation in Hereford ein ausführlicher Bericht auf der Website "supporters-direkt.org": http://www.supporters-direct.org/news-article/hereford-united-a-club-on-the-brink-but-why

Alle Tassen im Schrank? Goslar 08


Goslar ist für vieles bekannt, sicher aber nicht für seinen Fußball. Die herrliche und ausgezeichnet erhaltene Altstadt gehört ebenso wie das nahegelegene ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg zum Weltkulturerbe, im Winter locken die nahen Skipisten, im Sommer die herrlichen Talsperren der Region. Für mich persönlich ist Goslar regelmäßig Ziel ausgedehnter Harz-Radtouren, bei denen das vorzügliche kulinarische Angebot der Stadt alleine schon den mitunter strapaziösen Weg über Sonnenberg und/oder Torfhaus rechtfertigt.

Bis ich das erste Mal zum Fußball schauen nach Goslar fuhr, vergingen viele Jahre. Goslar 08, aus dem Jahr 1908 stammendes Fußballaushängeschild der Kernstadt, bot schlicht und einfach einfach keine Reize. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war der Klub mal drauf und dran gewesen, in die norddeutsche Elite vorzudringen, als viele Ostflüchtlinge in Goslar eine neue Heimat fanden (u.a. Werner Tamm und Kurt Scheibe) und die Töppen für 08 schnürten. Doch 1963 stieg Goslar 08 zum dritten (und diesmal endgültigen) Mal aus der höchsten Amateurliga Niedersachsens ab und geriet in der Folgezeit in den Schatten erfolgreicherer Nachbarn wie VfR Langelsheim oder VfL Oker. Dass die meisten von Euch von diesen beiden Vereinen vermutlich noch nie etwas gehört haben, unterstreicht nur, wie tief Goslar 08 gefallen war (1983: Bezirksliga).

Dann kam 2007 mit Folkert Bruns ein erfolgreicher Architekt und Inhaber eines Ingenieurbüros, und plötzlich wurde alles ganz anders, drängte Goslar 08 mit Macht in den „großen“ Fußball von Niedersachsen. Beim ersten Aufstieg von der Bezirksoberliga in die Oberliga Niedersachsen-Ost war ich 2008 live dabei und freute mich mit den Blau-Weißen, denn Gegner war 05-Lokalrivale SVG Göttingen. Beim zweiten Aufstieg (in die Regionalliga Nord) war ich 2009 ebenfalls live dabei, doch diesmal hielt ich es mit dem Gegner und unterlegenden Team VfB Oldenburg, mit deren Fans wir 05-Fans seit langem eine lebendige Fanfreundschaft pflegen.

Der rasante sportliche Aufstieg überforderte sowohl Goslar als nur langsam erwachende Fußballstadt (Zuschauerschnitt im Oberligameisterjahr 2008/09: 416) als auch die örtlichen Verhältnisse, denn das Osterfeldstadion war alles andere als regionalligatauglich. Während 08 daher in der Saison 2009/10 über weite Strecken im Exil Braunschweiger Eintrachtstadion vor seeeeehr übersichtlichen Kulissen kicken musste, wurde in Goslar ein neues Stadion aus dem Boden gestampft. Doch weil der Winter 2010 lang und harsch war, wurde die Arena erst fertig, als Goslar 08 bereits als Absteiger feststand. Zudem war die Saison von diversen internen Querelen überschattet, hatte phasenweise sogar ein Rückzug aus der Regionalliga zur Debatte gestanden. So ein bisschen war Goslar 08 damals eine "Skandalnudel".

Seit 2012 kann man in Goslar nun wieder Regionalligafußball bewundern, und inzwischen hat sich in der Harzstadt sogar eine kleine Fangemeinde herausgebildet, die die Kaiserstadt-Kicker akkustisch begleitet. Eine Fußballhochburg ist Goslar deshalb aber noch lange nicht, zumal die benachbarte Eintracht aus Braunschweig bei den Fußballfans der Stadt hoch im Kurs steht. Und dann ist da noch die Sorge, dass der Goslarer SC 08 möglicherweise etwas einseitig von den Launen seines wichtigsten Unterstützers Folkert Bruns abhängig ist – wenngleich der Klub inzwischen einen beachtlichen Sponsorenpool aufgebaut hat und zum fußballerischen Leuchtturm im Nordharz aufgestiegen ist.

Alle Tassen im Schrank? PSV Eindhoven


Der Zugang zu Fußballvereinen, die nicht die „eigenen“ sind, wird häufig bestimmt über persönliche Kontakte und Freundschaften (oder meinetwegen auch Feindschaften).

PSV Eindhoven war bis Anfang 2011 ein stinknormaler niederländischer Fußballverein für mich. Ich hatte keinerlei emotionale Bindung zu den Rot-Weißen. Eher war ich noch ein wenig skeptisch angesichts der Verbindung zum Philips-Konzern. Irgendwie war PSV Eindhoven für mich das Bayer Leverkusen Hollands.

Dann fuhr ich im Frühjahr 2011 bei der Tour d’Afrique mit, und einer meiner Mitfahrer war glühender PSV-Fan. Oft genug kurbelte ich mit Patrick durch afrikanische Landschaften und diskutierte mit ihm über Fußball und das Fandasein. In bester deutsch-niederländischer Fantradition gaben wir uns nebenbei schauspielerisch als rivalisierende Hooligans aus und pflegten einen nach außen entsprechend rauen Umgang, der nach innen freilich von einem respektvollen und freundschaftlichem Miteinander geprägt war.

Patrick erzählte von seinen Höhen und Tiefen als PSV-Fan, ich erzählte vom Dasein als Anhänger von Göttingen 05 und meiner Liebe zu den Bristol Rovers. So verging manch Tag im Sattel wie im Fluge, und Patrick wurde mir zum Freund. Seitdem hat auch der PSV Eindhoven plötzlich ein „Gesicht“, denke ich an Patrick, wenn ich von herausragenden Ergebnissen der Rot-Weißen erfahre, leide mit ihm, wenn die Philips-Kicker irgendwo einen auf die Nase bekommen. Fußball verbindet eben.

Ansonsten verbinde ich mit PSV zunächst den jungen Ronaldo (nicht Cristiano, sondern den „alten“, heute etwas pummeligeren, Ronaldo, der so herrlich mit dem Ball zaubern konnte), der bei PSV seine Europakarriere begann, sowie ein vor Urzeiten in Eindhoven erlebtes Match zwischen PSV und Go Ahead Eagles Deventer, von dem mir nur noch Bruchstücke in Erinnerung sind.

Im Gedächtnis sind zudem diverse Europapokalspiele gegen deutsche Mannschaften, die ich via TV verfolgte, doch irgendwie fehlte PSV in meinen Augen immer das Flair, das Ajax oder Feyenoord umgab. Mag ungerecht und auch unvollständig sein, wirkte aber so – eben das Bayer Leverkusen der Niederlande.

Im Unterschied zu „Vizekusen“ wurde PSV übrigens satte 21 Mal Landesmeister der Niederlande, neunmal Pokalsieger, errang 1978 den UEFA-Cup und 1988 den Landesmeisterpokal. Und das ist doch eigentlich eine ganz schön stolze Bilanz, oder?

Alle Tassen im Schrank? West Ham United


Heute werde ich mit der „Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne“ sicher hier und dort ein paar leuchtende Augen schaffen, denn West Ham United ist ja auch hierzulande ein recht beliebter Verein.

Vor allem in der Ska- und linken Skinheadszene weckt der Klub aus dem Londoner Arbeiterquartier innige Gefühle, und das liegt sicher nicht nur an seiner tiefen und engen Verbindung zur Arbeiterkultur im Londoner Osten. Die zwei gekreuzten Hämmer im Klubwappen weisen auf eben jene hin, die 1895 in den Docklands mit der Gründung von „Thames Ironworks“ ihren fußballerischen Anfang nahm und seit Juli 1900 den Namen West Ham United FC trägt.

Kultstatus erreichte der Klub natürlich auch durch seine ungewöhnliche Hymne „forever blowing bubbles“, die Ihr Euch hier anhören könnt: http://www.youtube.com/watch?v=RRNzn1lBZt0 1980 spielten die Cockney Rejects übrigens eine populäre Punkversion des Songs ein. West Hams mitunter nicht einfache Fanszene - das betrifft vor allem den Hooligan-Ableger „Inter City Firm“ - schaffte es derweil gleich dreimal in Hooligan-Filme (Hooligans, Cass – Legend of a Hooligan und Rise of the Footsoldier). Ebenso legendär die Rivalität mit Nachbar Millwall, die zuletzt 2009 zu wüsten Ausschreitungen führte.

In meiner eigenen Biografie markiert West Ham einen entscheidenden Wendepunkt, denn ein Heimspiel der Hammers im Boleyn Ground war anno 1985 mein allererstes Fußballspiel auf der Insel – ich glaube, da kann man schlechter starten! Gegner war seinerzeit der FC Liverpool, und statt ein Ticket lange vorher im Vorverkauf organisieren zu müssen, marschierte ich am Spieltag einfach zum Stadion, legte ein paar Pfund auf den Kassenteller und erreichte via Turnstiles die riesigen Terraces (Stehränge), die es in Englands Stadien damals noch gab. Good old time…

Später sah ich das Team noch einmal in der Saisonvorbereitung bei meinen Bristol Rovers (muss so um 1997/1998 gewesen sein), während die Hammers mir zudem regelmäßig in meiner Arbeit als Fußballhistoriker begegneten (und auch noch begegnen). Kein Wunder: Geoff Hurst und Bobby Moore waren Eckpfeiler der englischen WM-Elf von 1966 und zugleich die herausragenden Kräfte in jener Mannschaft, die 1965 im Europapokalfinale der Pokalsieger gegen den TSV München 1860 (über den ich gemeinsam mit Claus Melchior ein Buch verfasste) im Wembleystadion mit 2:0 gewann.

Seit vielen Jahren pendelt man nun schon zwischen erster und zweiter Liga, hat erhebliche Probleme, in der „Geldmaschine“ Premier League mitzuhalten und steht zudem vor dem Abschied von seinem traditionsreichen Stadion Boleyn Ground. 2016 soll der Umzug ins Londoner Olympiastadion erfolgen, was unter der Anhängerschaft der Hammers noch immer voller Leidenschaft diskutiert wird. Mit seiner besonderen Geschichte und Ausprägung ist West Ham eben einer jener Vereine in Großbritannien, die durch den tiefgreifenden Wandel des Fußballs gleich auf mehreren Ebenen regelrechte Transformationen durchleben, die nicht immer überall auf Akzeptanz stoßen.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Insolvenzticker: VfR Neumünster

Beim norddeutschen Regionalligisten VfR Neumünster haben der mäßige Saisonverlauf (gegenwärtig Platz neun) und das Aus im Halbfinale des Landespokals für eine angespannte finanzielle Lage gesorgt.

Die am Wochenende kolportierte Insolvenzgefahr liegt aber nach Aussage von Präsident Detlef Klusemann dennoch nicht vor. Demnach plagen den Verein angesichts von durchschnittlich nur 540 Zuschauern (erwartet worden waren durchschnittlich 1.000) zwar finanzielle Probleme, aber keine Liquiditätssorgen. Der "kicker" hatte in seiner Online-Ausgabe berichtet, dass dem Klub aufgrund der geringeren Zuschauerzahl und des Pokalaus rund 50.000 Euro fehlen würden. Bereits 2005 hatte der VfR Neumünster einen Insolvenzantrag stellen müssen.

Im Gespräch mit dem Online-Portal "Blog-trifft-Ball" nahm Klusemann nun Stellung zu den Berichten und beklagte sich zudem über Unruhe im Umfeld des Vereins. So kursierten u.a. Gerüchte über einen bevorstehenden Rückzug aus der Regionalliga nach Saisonende, die Klusemann mit "da hat wohl einer zur Märchenstunde ausgeholt" kommentierte. Eine Zukunft sieht der VfR-Präsident perspektivisch allerdings nur in der 3. Liga, zumal die Regionalliga Nord durch erschreckend geringe Zuschauerzahlen als Zuschussgeschäft gilt: „Die einzige Chance ist die 3. Liga, denn die Regionalliga ist auf Dauer finanziell gesehen wenig sinnvoll. Deshalb ist perspektivisch gesehen der Aufstieg unser Ziel“, erklärte er gegenüber "Blog-trifft-Ball".

Klusemann-Interview auf "Blog-trifft-Ball": http://www.blog-trifft-ball.de/blog/2014/01/vfr-boss-klusemann-die-einzige-chance-ist-die-3-liga/

Kicker-Bericht zum VfR:; http://www.kicker.de/news/fussball/regionalliga/startseite/598160/artikel_klusemann_kein-grund-die-regionalliga-abzuschenken-.html

Sonntag, 19. Januar 2014

Zur jüngsten Entwicklung bei Göttingen 05 (Extrablatt von "Alle Tassen im Schrank")


In den letzten Wochen haben sich die Dinge rund um meinen Lieblingsverein Göttingen 05 förmlich überschlagen. Daher habe ich mich in der heutigen Story der "Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne" (www.facebook.com/hardygruene) eingehend mit der Situation/Entwicklung beschäftigt. Die Geschichte auch hier im FußballGlobus als update:

Manchmal überholt die Gegenwart die Wirklichkeit. Macht keinen Sinn, dieser Satz? Nun, es geht in der heutigen (Warnung: recht langen!) Tassengeschichte um Göttingen 05, und da macht vieles keinen Sinn. Warum also nicht auch mein Einstiegsatz?

Ursprünglich hatte ich diese Tasse mit dem einstigen 05-Maskottchen ("GöTi") posten wollen, weil es heute in Göttingen zu einem ungewöhnlichen Duell kommt: Göttingen 05 gegen Göttingen 05. Anlass ist ein Hallenturnier in Erinnerung an Altpräsident Karl Eckold, das ausgerichtet wird vom RSV Göttingen 05 und an dem die U23 des I. SC Göttingen 05 teilnimmt. Es ist das erste Mal seit der Auslagerung des I. SC 05 aus dem RSV 05, dass sich beide Vereine als Gegner gegenüber stehen.

Ist das schon absurd, so wurde die Situation im Laufe der letzten Woche noch unendlich absurder. Und so erzählte ich nun eine Geschichte, die an eine Tragödie erinnert und von der ich noch immer hoffe, dass sie sich doch noch irgendwie in ein Lustspiel verwandelt. Das aber scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unvorstellbar zu sein, denn tatsächlich sitzen wir 05-Anhänger und Symphatisanten im Wortsinne längst auf der „Intensivstation“ und schauen dem rasanten Verfallprozess eines mit viel Hoffnung, Pomp und großen Worten gestarteten Projektes zu, das nach gegenwärtigem Stand mit dem endgültigen Ende des höherklassigen Leistungsfußballs bei Göttingen 05 enden könnte. Ihr seht schon – heute gibt es eine eher ungewöhnliche „Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne“-Story mit einem ganz persönlichen Bezug.

Wenn ich das Bild von der Intensivstation aufgreife, sehe ich mich und viele andere langjährige 05-Freunde und Freundinnen in verzweifelter Trauermine am Krankenbett des I. SC Göttingen 05 stehen. Uns eint eine Mischung aus Unverständnis, Wut, Ratlosigkeit und Trauer. Uns trennen unterschiedliche Wahrnehmungen, was genau das eigentlich ist, das da auf dem Krankenbett (Totenbett?) liegt.

Göttingen 05 hat in den letzten zehn Jahren mehrere Transformationen durchgemacht. Mal kurz ein Rückblick: 2001 stieg der 1. SC 05 nach einem 3:0 gegen Holstein Kiel in die Regionalliga Nord auf, bekam aber keine Lizenz. Zwei Jahre später wurde der Verein aufgelöst und aus dem Vereinsregister gestrichen, weil es im Insolvenzverfahren durch, ich sag mal „ungeschickt beratene Spieler“ nicht die normalerweise übliche Lösung gab (jeder Schuldner bekommt einen bestimmten Prozentsatz), sondern die Akteure auf die Auszahlung der gesamten Gelder beharrten, was zur Liquidierung des Vereins führte.

Als Auffangverein entstand der 1. FC Göttingen 05, der 2005 mit dem RSV Geismar zum RSV Göttingen 05 fusionierte. Für uns 05-Fans war die Heimat fortan der Sportplatz an der Benzstraße in Geismar, und wir guckten nun Bezirksklassenfußball (8. Liga). Das taten wir mit Verve, Freude und zunehmendem Stolz. 2011 gelang die Rückkehr in die Oberliga Niedersachsen, jene Spielklasse, in der der alte 1. SC 05 bei seiner Auflösung gespielt hatte. 05 war wieder die „Nummer 1 der Stadt“, und es gab eine bunte und fröhliche Anhängerschaft um den Verein. Dem entscheidenden Lokalderby gegen die SVG hatten über 2.500 Menschen beigewohnt – Fußball-Göttingen lebte, und das dank 05. In der Oberliga spielte man im ersten Jahr gut mit, während es im zweiten Jahr nach einem Regionalligaträume auslösenden Traumstart zu einer gewissen Ernüchterung kam.

Längst war zudem klar, dass der RSV 05 an seinen Grenzen angelangt war. Ein ehrenamtlich geführter Verein, dessen Ehrenamtliche bis über beide Ohren in Arbeit und Verantwortung steckten. Und die nebenbei „normalen“ Berufen nachgingen, Familien hatten, etwas Freizeit für sich beanspruchten. Gerüchte vom Rückzug in die Landesliga, möglicherweise gar Bezirksliga machten die Runde und passten so gar nicht zu den grassierenden Hoffnungen auf den Aufstieg in die Regionalliga. Es kam ein Mann namens Michael Wucherpfennig, der Lösungsansätze versprach. Ein Businessclub wurde gegründet, der Slogan „2015 - one team, one dream“ propagiert. 2015 sollte die Regionalliga erreicht werden.

Unterdessen kündigte der RSV-05-Vorstand die Ausgliederung der Oberligamannschaft als GbR (o.ä.) an, um aus der persönlichen Verantwortung im Falle eines Finanzcrashes entlassen zu werden. Sehr nachvollziehbar, denn wer will schon fast seine gesamte Freizeit opfern und dann auch noch mit seinem Privatvermögen dafür haften, wenn es schief geht? Herr Wucherpfennig hatte daraufhin die Idee, für die ausgelagerte Oberligamannschaft den alten 1. SC Göttingen 05 wiederzugründen. Es wurde ein Drei-Säulen-Modell vorgestellt, bei dem der RSV 05 die Basis bildete, dem der 1. SC 05 als Oberligamannschaft und ein bereits existierender Jugendförderverein (JFV) Göttingen als Nachwuchsleistungsabteilung unterstand. Alle drei Vereine sollten unter dem Dach des RSV 05 miteinander kooperieren. So wurde es von den RSV-05-Mitgliedern beschlossen, doch so kam es nicht.

Weil der neue 1. SC 05 (fälschlicherweise als I. SC 05 gegründet) über keine Nachwuchsmannschaften verfügte, durfte er auf Verbandsverdikt 2013/14 nicht wie geplant in der Oberliga spielen. Daraufhin kam es zur Vereinigung zwischen I. SC 05 und JFV, woraufhin 2013/14 der nunmehr mit Jugendmannschaften bestückte I. SC 05 anstelle des RSV 05 in der Oberliga Niedersachsen antrat. Der RSV 05 nahm unterdessen den Platz der ehemaligen RSV-05-II-Mannschaft in der Kreisklasse an. Plötzlich gab es also zweimal Göttingen 05 im Spielbetrieb!

Wir Fans sahen das mit unterschiedlich großem Bauchgerummeln. Während einige sich von den Regionalligaträumen leiten ließen und über kritische Punkte hinwegsahen, bekamen andere zunehmend Probleme mit der Entwicklung, die einerseits nicht der beschlossenen Drei-Säulen-Lösung folgte und andererseits zu einer sich in Windeseile vertiefenden Spaltung zwischen RSV 05 und I. SC 05 führte.

Unterdessen zeigte sich, dass der Slogan „one team – one dream“ vor allem in punkto „one team“ nicht wirklich mit Leben erfüllt war. Klubinitiator und auch Geldgeber Wucherpfennig agierte nämlich eher als „one-man-team“, was viele im Umfeld zurückschrecken ließ. Wie Dominosteine fielen die ehrenamtlichen Helfer aus, weil sie keine Lust mehr hatten. Eines Tages kam ich zum Spiel, und da saß ein verletzter Stürmer an der Kasse, weil die ursprüngliche Kassiererin die Brocken hingeschmissen hatte. Besagter Stürmer agierte dann später auch noch als Stadionsprecher – denn auch der war gegangen. Um Herrn Wucherpfennig wurde es einsamer.

Die sportliche Leitung hatte zur Saison 2013/14 der ehemals für den JFV verantwortliche Hansi Ehrlich übernommen. Wie Herr Wucherpfennig ein Mann, zu dessen Stärken nicht unbedingt die Teamarbeit gehört. Jeder halbwegs Interessierte ahnte daher, dass das Duo Wucherpfennig/Ehrlich eigentlich nicht funktionieren KANN, denn bei zwei Alpha-Tieren muss eines zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Im Oktober, nur drei Monate nach der Gründung des I. SC 05, war es soweit. Herr Wucherpfennig, ohne den es nie zur Gründung des I. SC 05 gekommen wäre, zog sich zurück, Trainer Hansi Ehrlich wurde auch noch Klubpräsident und stellte sich einen Vertrauen als 2. Vorsitzenden an seine Seite. Der I. SC 05 verfügte zu jenem Zeitpunkt fast ausnahmslos über Jugendspieler als Mitglieder, denn zunächst war der passive Beitritt gar nicht möglich gewesen (man wolle eine „feindliche Übernahme“ verhindern, hieß es), dann stand eine mögliche Doppelmitgliedschaft in RSV und SC im Raum ehe sich herausstellte, dass der auf der SC-Website herunterladbare Aufnahmeantrag nicht rechtsgültig war.

Die Jugendspieler aber waren fast alles Mitglieder des ehemaligen JFV und damit Anhänger von Hansi Ehrlich, der dementsprechend mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde. Um danach ein Regime zu installieren, das an totalitäre Staaten erinnert. Mit Rundumschlägen, die sämtlichen vorherigen Verantwortlichen die Alleinschuld für die sportliche und finanzielle Misere zuschob (Ehrlich war und ist, das sei an dieser Stelle wiederholt, Trainer der Oberligamannschaft, die unter seiner Führung eine katastrophale Hinrunde spielte!), mit vollmundigen Versprechungen bezüglich neuer Spieler und neuer Sponsoren, durch Streitigkeiten mit den noch verbliebenen Helfern und den Fans, die der Mannschaft trotz der Misere lautstark die Treue hielten. Die Entwicklung gipfelte in Ehrlichs Aussage, dass er es bedaure, den JFV aufgelöst und den I. SC 05 gegründet zu haben. Wie gesagt: Ehrlich ist Präsident eben dieses I. SC 05!

Diese Woche nun eskalierte die Situation, als Ehrlich seinen Co-Trainer öffentlich mit nahezu unglaublichen Worten abwatschte (http://goettingen.sportbuzzer.de/magazin/ehrlich-bleibt-bis-zum-saisonende-trainer-des-1-sc-05/1219), jener daraufhin vollkommen nachvollziehbar kündigte und die Mannschaft sich im nächsten Schritt verzweifelt an die Öffentlichkeit wandte, weil sie unter Ehrlich nicht weiterarbeiten will (http://goettingen.sportbuzzer.de/magazin/05-spieler-wenden-sich-gegen-trainer-hans-joerg-ehrlich/1233).

Keine sechs Monate nach seiner Gründung liegt der I. SC 05 nun auf der Intensivstation, und es scheint nicht viele Lösungen zu geben. Bleibt Ehrlich am Ruder, droht der sofortige Rückzug in der Oberliga mit einem völlig ungewissen Neustart in der Landesliga. Da bliebe dann als zusätzliche Frage noch das Verhalten der Fans, die inzwischen unisono mit Ehrlich gebrochen haben. Gelänge es, einen Alternativvorstand zu finden, stünde da immer noch das Problem, dass Ehrlich die meisten Mitglieder hinter sich hat – wenn er die Macht nicht abgeben will, wird er sie bei einer Kampfabstimmung vermutlich auch nicht abgeben müssen. Und bleibt er am Ruder, dürfte aus dem I. SC 05 mittelfristig mehr oder weniger ein Jugendförderverein ohne ambitionierte Herrenmannschaft werden.

Der RSV 05 führt unterdessen die Tabelle der Kreisklasse an und hat sich gerade mit einem ehemaligen Regionalligaspieler von Altona 93 verstärkt. Die Atmosphäre zwischen den Vereinen kann man nicht wirklich als entspannt bezeichnen, und von der einst durch die Mitgliederschaft beschlossenen „Drei-Säulen-Lösung“ ist nichts umgesetzt worden. Satt dessen stehen RSV 05 und I. SC 05 längst in Konkurrenz miteinander. Das hat für uns alle persönliche Folgen, denn plötzlich gibt es Probleme mit Menschen, mit denen man bisweilen seit Jahrzehnten zu 05 gegangen ist, und die plötzlich auf der „falschen“ Seite stehen.

Auf welcher Seite ich stehe, weiß ich nicht. Trotz Bauchgrummeln bin ich im Sommer den Schritt zum I. SC 05 mitgegangen, habe aber früh gemerkt, dass mein schwarz-gelbes Herzblut dabei auf der Strecke geblieben ist. Zwar gab es zweimal 05, doch keiner davon war „meiner“. Die absurde Entwicklung des I. SC 05 zunächst unter Wucherpfennig und dann unter Ehrlich ließ mich zunehmend Abstand nehmen, denn deren Verein war offensichtlich nicht meiner. Einziges Bindeglied war die örtliche Fanszene, und irgendwann ging ich nur noch zu den Spielen, weil „es 05 ist“. Aber wo 05 draufstand, war nicht mehr 05 drin. Und so blieb ich im Spätherbst zwei Heimspielen ratlos fern, suchte händeringend nach einer Lösung, die meinem Gefühl entsprach. Ich suche noch immer.

Möglicherweise kommt zumindest ein Teil der Lösung nun von außen, denn die Zeichen, dass sich der I. SC 05 noch in der laufenden Saison aus dem Spielbetrieb zurückziehen wird, sind deutlich sichtbar. Wie es dann weitergeht, steht völlig in den Sternen. Was ich persönlich am meisten bedaure (neben der grundsätzlichen Entwicklung, die zehn Jahre solide Aufbauarbeit durch die Eitelkeiten und narzistischen Persönlichkeiten der beiden Hauptprotagonisten und Verantwortlichen Wucherpfennig sowie Ehrlich binnen weniger Monate zerstörte), ist der Verlust eines wichtigen Teiles meines Soziallebens. Vor sechs Monaten ging ich noch mit guten Freunden vereint zu Fußballspielen. Ich war nie ein Erfolgsfan, und ich habe wahrlich schwere Zeiten mit 05 durchgemacht, Das war mir alles egal, denn ich war 05er und da fragt man nicht nach Spielklasse, Ergebnis oder Erfolgen. Heute weiß ich, wie so viele viele von uns Fans, nicht mehr, was ich eigentlich bin. Immer noch 05er, klar! Aber was ist 05er-sein heute? I. SC 05er und damit Ehrlich-Jünger? Nein! RSV 05er und damit Kreisklasse? Jein. Welche Zukunft wünsche ich mir? ...?

Was mit und um Göttingen 05 passiert ist, ist ein Trauerspiel, das vermutlich als Tragödie enden wird. Und den Namen Göttingen 05 für immer aus der „großen“ Fußballwelt verschwinden lassen könnte.

„Danke“ Michael Wucherpfennig, „Danke“ Hans-Jörg Ehrlich. „One Team, one dream“? Euer Traum ist unser Alptraum!


P.S.: Update von heute: nun ist Ehrlich vom Amt des Trainers zurückgetreten. Als Präsident will er aber "mehr denn je" wirken. Die (durch Aufzeichnungen des Redakteurs belegbare) Berichterstattung im Göttinger Tageblatt bezeichnet er als "frei erfunden". http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Sport/Themen/Fussball-vor-Ort/Hans-Joerg-Ehrlich-1.-sc-goettingen-05-Trainer
P.P.S.: Auf dem Online-Portal GöKick wurde inzwischen eine Stellungnahme von Hansi Ehrlich veröffentlicht. Demnach ist das Göttinger Tageblatt offenbar an allem Schuld. http://deinsportplatz.de/goekick/artikel.page?id=28689&fb_action_ids=644235928970995&fb_action_types=og.likes&fb_source=aggregation&fb_aggregation_id=288381481237582