Samstag, 26. April 2014

Alle Tassen im Schrank? Bristol Rovers


Sorry, aber das muss heute sein. An einem Tag, an dem sich das Schicksal eines Klubs, der mir sehr am Herzen liegt, in die eine oder andere Richtung neigen kann. In nur 90 Minuten, im direkten Duell mit einem punktgleichen Rivalen um den Abstieg aus der Division 2 und damit der Football League.

Heute Nachmittag werden die Bristol Rovers von weit mehr als 2.000 mitgereisten Fans im Adams Park bei den Wycombe Wanderers (hoffentlich) zum Sieg getragen und machen damit (hoffentlich) den entscheidenden Schritt in Richtung Klassenerhalt. Ich wäre liebend gerne live vor Ort, kann die Partie aber nur am Radio verfolgen. Am Sonntagmorgen steht für mich das erste Radrennen der Saison an – insofern war ein Ausflug nach Wycombe nicht eingeplant und konnte kurzfristig nicht organisiert werden.

Was mich bei der Wahl meiner Lieblingsmannschaften geritten hat, weiß ich auch nicht. Göttingen 05 habe ich meinem Vater zu verdanken, der mich in Göttingen das erste Mal mit zum Spiel nahm. Vater war BVB-Fan und wir waren gerade von Dortmund nach Göttingen gezogen. Ich könnte also auch BVB-Fan sein. Bin ich aber nicht, und ungeachtet der traurigen Entwicklung bei Göttingen 05 ist das auch gut so! Die Bristol Rovers habe ich mir selber ausgesucht. Manchmal ist das im Leben eben einfach so: man sieht etwas, ist hin und weg, taumelt verliebt durchs Leben, und wenn man wieder nüchtern ist und genauer hinschaut, ist es längst zu spät, steckt der Ring am Finger oder das Herz am Verein.

Nicht, dass ich es jemals bereut hätte (nur manchmal…). Ich kann auf herrliche Erlebnisse mit den Rovers zurückblicken. Sicher, da sind auch ein paar Enttäuschungen. Aber nun gut, kann denn in der Liebe immer die Sonne scheinen? Ich war – und bin – glücklich mit meiner Wahl. Die Bristol Rovers sind ein besonderer Verein. Keiner von der Stange wie Manchester United oder Arsenal. Und schon gar nicht ein Verein, der hier in Deutschland irgendeine Berühmtheit ist. Das gefällt mir, denn bei der Wahl seiner Lieblingsmannschaft sollte man sich nicht vom Mainstream leiten lassen. Sondern von Gefühlen, von Intuition, von Emotionen. Und je näher ich dem Klub kam, je mehr ich über ihn und seine Geschichte erfuhr, desto mehr wusste ich: ich bin genau richtig! Der dreckige Underdog, meistens im Schatten des poshen Stadtrivalen „south of the River“, immer ein bisschen kratzbürstig, immer ein bisschen frech, immer ein bisschen tragisch.

Meine Welt? Meine Welt!

Ich bin seit über 20 Jahren Rovers-Fan und habe in der Zeit sicherlich 120 bis 130 Spiele gesehen. Das mag verrückt klingen, und ohnehin ist es fragwürdig, ob man wirklich „Fan“ sein kann in so einer Fernbeziehung. Ich weiß, dass man kann. Das Leiden vor dem Radio ist manchmal sogar noch intensiver als im Stadion, wo man die Emotionen wenigstens im Kollektiv rauslassen kann. So gucken nur die Nachbarn, wenn ich plötzlich ein erlösendes „JAAA“ durch den Garten schicke. Oder wie neulich bei einem Besuch bei Borussia Fulda, als Kaid Mohammed in der 94. Minute den 1:0-Siegtreffer gegen Morecambe machte und ich brüllend auf der Tribüne hüpfte, als die erlösende SMS einging. „Wer hat getroffen“, guckten mich zig fragende Augen an. „Bristol Rovers“ rief ich zurück. Danach guckten mich noch mehr fragende Augen an.

So ein Fußballklub ist mehr als nur ein Verein. Das weiß man nicht nur in Barcelona. Er ist Heimat, er ist Geborgenheit, er ist Leidenschaft, er ist Geschichte. Er ist ein Wappen – heute Nachmittag wird die blau-weiße Fahne in meinem Garten wehen. Vor allem aber ist er „Menschen“, und das ist es, was mein Herz dereinst endgültig für die Bristol Rovers öffnete. Ich bin vielen wunderbaren Menschen begegnet, wenn ich mit den Rovers unterwegs war. Wer mich jemals hat Englisch sprechen hören, weiß, dass ich mit meinem Akzent sofort als Ausländer entlarvt werde. Das hat mich oft geärgert, aber es hat auch den Vorteil, spielend in Kontakt mit Menschen im Stadion zu kommen. Wenn ich heute nach Bristol komme, brauch ich eine halbe Stunde, bis ich all die Menschen begrüßt habe, die ich dort kenne und schätze. So wie Phil, den Köln-Fan und Gashead, der in seinem „portable cabin“ Rovers-Souvenirs verkauft. Oder Adam, der während des Spiels ständig die Zwischenstände der anderen Partien checkt (und mir die Bundesliga-Zwischenstände zuruft "Bayern one-nil up"). David, der auch Fußballbücher schreibt. Abi, die ich durch unglaubliche Zufälle per Facebook kennenlernte. Und natürlich Chris und Rowena, die mir über die Jahre zu echten Herzensfreunden geworden sind und mich mit SMS versorgen, wann immer ich nicht vor dem Radio hocken kann oder selbst vor Ort bin. Ein Verein ist manchmal auch eine Familie.

Heute Nachmittag ist mein Herz, ist meine Leidenschaft, ist meine Liebe im Adams Park in Higher Wycombe.

Heute Nachmittag gilt nur eins: C’MON ROVERS, C’MON YOU GAAAAASSS!

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